Seit April erschüttern massive Proteste Venezuela. Menschen demonstrieren gegen Präsident Nicolás Maduro – nicht nur für politische Rechte, sondern auch um das tägliche Überleben zu sichern. Die Journalistin Maria Lopes (Name geändert) berichtet aus Caracas über die dramatische Lage im Land, das trotz riesiger Erdölreserven in einer tiefen Krise steckt.
1. Wirtschaftlicher Absturz trotz Erdöl
Nach dem Tod von Hugo Chávez 2013 übernahm Maduro die Führung. Doch seitdem verschärfen sich die wirtschaftlichen Probleme: Lebensmittel- und Medikamentenmangel, Inflation in schwindelerregender Höhe und ein kollabierendes Sozialsystem. Der Internationale Währungsfonds prognostiziert für das Jahr eine Inflationsrate von über 700 Prozent. Weil 90 Prozent der Exporte auf Erdöl beruhen und der Ölpreis eingebrochen ist, fehlen Devisen für Importe. Das Ergebnis sind leere Regale, fehlende Medikamente und ein Schwarzmarkt mit unerschwinglichen Preisen.
Maria beschreibt ihren Alltag: Trotz doppeltem Mindestlohn und staatlicher Zuschüsse reicht ihr Einkommen nicht, um die nötigsten Dinge zu kaufen. Vor Supermärkten bilden sich Schlangen, Menschen warten über Nacht, um rationierte Lebensmittel zu ergattern – oft vergeblich. Andere durchsuchen Mülltonnen in wohlhabenderen Vierteln, um Essen zu finden. Szenen wie Kinder in improvisierten Windeln aus Plastiktüten verdeutlichen das Ausmaß der Not.
2. Politische Krise und Massenproteste
Am 29. März entzog das oberste Gericht, das der Regierung nahesteht, dem Parlament vorübergehend alle Befugnisse. Obwohl der Beschluss nach wenigen Tagen zurückgenommen wurde, löste er eine Welle an Protesten aus. Demonstrationen finden seitdem fast täglich statt. Schon seit Jahren leiden die Menschen unter Mangel und Arbeitslosigkeit – nun vereinen sich diese Missstände mit dem politischen Widerstand.
Journalisten wie Maria geraten dabei selbst ins Visier. Venezuela rangiert auf Platz 137 von 180 im Index der Pressefreiheit. Über 200 dokumentierte Fälle von Angriffen und Verhaftungen gegen Medienschaffende allein in wenigen Monaten zeigen, wie riskant Berichterstattung geworden ist.
3. Gewalt auf den Straßen
Protestierende stoßen regelmäßig auf massiv bewaffnete Sicherheitskräfte. Tränengasgranaten werden nicht nur in die Luft, sondern direkt auf Menschenmengen abgefeuert. Auch Gummigeschosse kommen aus nächster Nähe zum Einsatz. Immer wieder gibt es Todesopfer – etwa ein 20-jähriger Student, der durch eine Tränengasgranate getötet wurde. Maria schildert eindringlich die Szenen von Panik, Atemnot und Verletzten.
Trotz dieser Brutalität organisieren die Demonstrierenden ihre Reihen, wechseln sich ab, bringen Verletzte in Sicherheit. Doch selbst in Krankenhäusern fehlt es an Medikamenten, nicht einmal Antibiotika oder einfache Schmerzmittel sind verfügbar. Die Ursachen der Proteste – Hunger, Knappheit, Unterdrückung – verstärken sich durch die Gewalt der Auseinandersetzungen weiter.
4. Internationale Reaktionen und Isolation
Der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Luis Almagro, bezeichnete Venezuelas Regierung als Diktatur. Mehrere Staaten forderten Maduro auf, das Recht auf friedliche Proteste zu garantieren. Anstatt Zugeständnisse zu machen, trat Venezuela im April aus der OAS aus und warf den Nachbarländern Einmischung vor.
5. Alltag zwischen Angst und Abwanderung
Nach Einbruch der Dunkelheit trauen sich viele Menschen nicht mehr auf die Straße – Entführungen und Raubüberfälle sind alltäglich. Zahlreiche Venezolaner verlassen das Land, allein in Brasilien haben im Frühjahr tausende Asyl beantragt. Für viele Familien bedeutet das Abschied auf unbestimmte Zeit. Maria erzählt, dass sie häufiger zu Abschiedspartys als zu Geburtstagen geht – ein Sinnbild für die Massenflucht.
Überweisungen von Verwandten im Ausland helfen manchen, doch die Mehrheit leidet Hunger. Selbst grundlegende Hygieneartikel sind kaum zu bekommen. Während große Teile der Bevölkerung kämpfen, hält sich Maduro durch Unterstützung des Militärs an der Macht – Soldaten erhalten Wohnungen und Lebensmittel, während der Rest der Gesellschaft leer ausgeht.
6. Ein Wunsch für die Zukunft
Maria bringt die Sehnsucht vieler Venezolaner auf den Punkt: eine Regierung, die es ermöglicht, satt zu werden, eine eigene Wohnung zu haben und unabhängig zu leben. Politische Etiketten seien ihr egal – entscheidend sei funktionierende Institutionen statt charismatischer Einzelherrscher. Doch solange Macht und Geld in den Händen weniger konzentriert bleiben, droht Venezuela in einer Spirale aus Krise, Gewalt und Abhängigkeit zu verharren.