
Die Polizei, dein Freund und Twitter
Du kritisierst die Polizei? Sorry, aber du liegst falsch! Denn Polizist*innen tragen Schwäne über Straßen. Und wenn sie prügeln, richtet's der nächste Twitter-Gag. Über Polizei-PR, die Fehlerkultur den Platz klaut.
Erinnerst du dich, als Saskia Esken es wagte, sich Samthandschuhe überzustreifen und vorsichtig die Polizei anzutapsen? „Latenten Rassismus“ benannte die SPD-Chefin – und löste Stürme der Entrüstung aus. Wer mit so einer Öffentlichkeit gesegnet ist, braucht keine Fehlerkultur.
Polizeikritik führt in Deutschland ein Nischendasein. Manche Menschen und Initiativen kritisieren zwar, dass die Polizei nur von einem Teil der Gesellschaft als Garantin von Sicherheit wahrgenommen wird und für andere – BPoC, Obdachlose, Sexarbeitende – eher mit Unsicherheit und Angst verknüpft ist. In der öffentlichen Wahrnehmung werden sie aber schnell zu denjenigen, die mit gutem Grund ins Visier der Polizei geraten: ‚Die brauchen sich doch nur an die Regeln halten; ich hatte noch nie Probleme mit der Polizei‘, ruft die weiße Mehrheitsgesellschaft.
Es liegt in der Natur der Sache, dass Diskriminierung nicht alle trifft, sondern nur manche. Der Philosoph Daniel Loick beschreibt das als differentielle Funktionsweise der Polizei. Loick sagt: In ihrer aktuellen Form funktioniert die Polizei nur dadurch, dass sie auf Menschen grundsätzlich unterschiedlich (ein)wirkt. Für manche bedeutet sie Sicherheit, für andere Unsicherheit. Je nach dem, ob sie sich grundsätzlich rechtfertigen müssen – stets in Erwartung, kontrolliert und kriminalisiert zu werden, sich rechtfertigen zu müssen. Oder ob sie sich sicher sein können, dass sie für die Polizei weiß und unsichtbar sind. So entwickeln sich Menschen unterschiedlich.
Wenn man aber nicht an Diskriminierung glaubt, beißt sich die Katze natürlich in den Schwanz. Die Polizei ist nach wie vor überzeugt: Wir sind die Guten. Schließlich haben wir doch über 80 Prozent Vertrauenswerte in der Bevölkerung! Also: Die nicht diskriminierte Mehrheitsgesellschaft tut es der Polizei gleich.
Mit der Black-Lives-Matter-Bewegung drangen die Diskriminierungserfahrungen dann plötzlich aus der Nische heraus und kratzten am Selbstbild der Polizei. Da stand tatsächlich die Frage im Raum: Könnte es vielleicht doch Probleme in der Polizei geben?
Aus Sicht der ‚Guten‘ konnte diese Kritik aber nur bedeuten, dass da etwas in ein falsches Licht gerückt wird. Alles Einzelfälle! – oder eine verzerrte Darstellung. Es gilt also, das Image geradezurücken.
Bürgernähe zwitschern
Zum Glück haben ‚die Guten‘ eine Lösung gefunden: Die Polizei muss bürgernäher und diverser werden. Sie muss sich als Dienstleisterin der Bevölkerung verstehen, wieder mehr als Freundin und Helfer – ein Begriff aus der Weimarer Republik übrigens, der seinen Weg in die Nazi-Propaganda fand. Der Begriff ‚Bürgernähe‘ findet sich nun in vielen Erklärungen zur Social-Media-Polizei wieder.
Münchens Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins beim Ted Talk im Januar 2020
Die Bürgernähe, die Serviceorientierung und die ‚Freundschaftlichkeit‘ lassen sich gerade besonders gut in den sozialen Medien beobachten. PR-Strategen wie der Münchner Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins sind ganz aus dem Häuschen ob dieser neuen Möglichkeiten, mit den Bürgerinnen in Kontakt zu treten, das verstaubte Image abschütteln, auch mal locker und lustig zu sein. Man muss auf Social Media präsent sein, schließlich sei man als moderne Behörde verpflichtet, Infos zu liefern – das wird aus Sicht der Pressesprecherinnen und Social Media Menschen zum unhinterfragten Naturgesetz.
Dahinter steht das Prinzip der Publizität der Verwaltung, gestützt durch mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Dieses Prinzip legitimiert ein undurchsichtiges Gemisch an Info(tainment) und Imagearbeit, mit dem die Polizei die Bevölkerung bespielt, vorbei an der Kontrolle der Medien.
Obgleich einige Journalisten ihrer Kontrollfunktion vorher schon nicht nachgekommen sind. Viele behandeln Polizeimeldungen weiterhin unkritisch als privilegierte Quelle. Die Polizei gilt damit als so glaubwürdig wie das Statistische Bundesamt; einer zweiten Quelle bedarf es nicht.
Mit Twitter verbreiten sich Polizei-Meldungen nun auch ganz ohne Presse. Dass das Bundesverfassungsgericht daneben auch ein Gebot der Sachlichkeit und auch das Recht auf staatsfreie öffentliche Diskussion festschreibt, fällt da gerne unter den Tisch.

Rechtfertigung der Polizei Hamburg, nachdem sie twitterte, sie würde auch schwarzen Schwänen über die Straße helfen
Humor ist eben ein „schmaler Weg“ (Da Gloria Martins). Das Konzept ist, grob betrachtet, folgendes: durch lustige, auch mal etwas unsachliche Kommunikation Vertrauen und Sympathie erreichen und damit Reichweite generieren, um wichtige Informationen unter die Leute zu bringen. Dabei geht es auch darum, die eigene Sichtweise, die Deutungshoheit über polizeiliche Ereignisse und das eigene Image zurückzugewinnen, mithin wieder geradezurücken. Denn es scheint irgendwie bedroht, verrückt.
Im einem Leitfaden für digitale Öffentlichkeitsarbeit schreibt Jan Schabacker, Pressesprecher bei der Polizei Nordrhein-Westfalen: „Wir müssen uns beteiligen, müssen Antworten auf Fragen geben, gegebenenfalls auch unsere Position weitergehend erläutern & Stellung beziehen. Auch hier geht es um nicht mehr & nicht weniger, als die Deutungshoheit zu allen Themen, die kommentiert werden, zu behalten.“
So reißt die Polizei zusätzlich zum Gewaltmonopol auch noch die Definitionsmacht über ihre eigene Arbeit an sich zu. Eine mächtige Waffe – gerade in Zeiten, in denen Kritik an der repressiven Seite der Polizei lauter wird.
Wer sind die Auserwählten?
Wer die Zielgruppe der Social-Media-Arbeit ist, lässt sich anhand des Ted Talks von da Gloria Martins erahnen. Er erklärt dort, dass seine Arbeit dazu beitragen soll, dass die Leute der Polizei vertrauen, sie mögen und sie für handlungsfähig halten, denn „sonst beauftragen Sie im Zweifel einen privaten Sicherheitsdienstleister“. Mit „Bürgernähe“ zielt die Twitterpolizei offenbar auf die gehobene Mittelklasse aufwärts. Oder wer kann sonst Geld für einen Sicherheitsdienstleister locker machen können? Obdachlose sind wohl nicht gemeint; in der Innenstadt der „sichersten Stadt Deutschlands“ (da Gloria Martins) haben sie übrigens ein Bettelverbot, die meisten wahrscheinlich auch keinen Twitteraccount.
Ein Berliner Polizeiaccount antwortet auf die Frage, welche Ausgangsbeschränkungen in der Coronakrise bei Lebenspartnerschaften gelten:

Die Kommentare zu dem Tweet sind zweigeteilt: in Freude über diese lustige Polizei und Sorge um Polizeiwillkür. Das Unbehagen mancher scheint für das Social-Media-Team jedoch kein allzu großes Problem zu sein.
Scrollt man durch die „Tweets und Antworten“ von Polizeiaccounts, findet sich viel an solch lockerem Smalltalk. Menschen, die Kritik an der Polizei äußern, beschweren sich hingegen häufig, dass ihnen nicht geantwortet wird.
Dabei kann Twitter durchaus auch eine Möglichkeit sein, Beschwerden an die Polizei zu richten. Ob darauf eingegangen wird, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, vom Fall und vom Bundesland. Welchen Bürgerinnen die Polizei auf welche Weise nah sein will, kann letztlich das Social Media Team entscheiden. Ob Kritik durchkommt, scheint dabei auch von Fragen der Reichweite abzuhängen, die hinter ihr steht.
20.000 Followende reichen, wie der Journalist Malcolm Ohanwe erfahren hat. Am 22. Juli hat Ohanwe folgenden Tweet zu einer rassistischen Polizeikontrolle abgesetzt:

Die Münchner Polizei, also die von Da Gloria Martins, die vergleichsweise aktiv auf Twitteranfragen antwortet, reagierte mit dem Versprechen, sich um den Fall zu kümmern:

Das Fernsehmagazin „Report München“ griff den Fall auf. Polizeisprecher Da Gloria Martins erklärte dort „die Tatsache, dass von den Personen, die in den zwölf Stunden, wo diese Kontrolle stattgefunden hat,– einer polizeilichen Maßnahme quasi unterzogen wurden – der allüberwiegende Teil eine deutsche Nationalität hatte“. Nur: Ohanwes Bruder und seine Freunde sind ja gerade Deutsche:

Statt auf möglichen Rassismus einzugehen, offenbart der Polizeisprecher also en passant seine eigene rassistische Denke. Obwohl die Polizei durch die Reichweite überhaupt erst mal auf den Vorfall eingeht, verfehlt die PR-Reaktion dessen wirkliche Aufarbeitung.
Sicher steht die Social-Media-Arbeit nicht pars pro toto für alles, was die Bürgernähe umfasst. Aber sie ist Hinweis darauf, wie sich die Polizei gerne nach außen präsentiert – vor allem gegenüber den Menschen, die sonst wenig mit ihr zu tun haben. Beim letzten G20-Gipfel lächelte das Kommunikationsteam der Hamburger Polizei für das Twitterfoto, während ein paar Straßen weiter die Robocops standen.
Beschwerdestellen statt Rumalbern
Seit 2016 sind alle Polizeien der Länder und des Bundes mit mindestens einem Account in den sozialen Medien vertreten. Unabhängige Beschwerdestellen gibt es hingegen kaum: nur in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg, alle ohne eigene Ermittlungsmöglichkeiten.
Dabei wäre das eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit: Beschwerdestellen, die weder der Polizei noch den Innenministerien zugeordnet sind, sondern sich nur den Parlamenent verantworten müssen; und zu denen alle Menschen Zugang haben, unabhängig von ihrer Identität und ihrer Reichweite. Stattdessen bietet die Polizei rumalbernde Social Media Teams, für die Bürgernähe bedeutet „Fans“ zu duzen.
Vielleicht passt es da von Zeit zu Zeit ins PR-Konzept, sich auch mal mit selbstkritischer Fehlerkultur zu präsentieren. Die ist aber nicht mit Transparenz zu verwechseln. Denn das Ziel heißt Imagepflege: das Geraderücken des eigenen Bildes in der Öffentlichkeit. Mit dem Prinzip rechtsstaatlicher Verantwortung ist sie nicht zu vereinen – denn das würde ja gerade die wirksame Kontrolle der Staatsgewalt bedeuten, nicht ihre Buntwäsche.
Auch mehr ‚bürgernahe‘ Polizei, im Netz und auf der Straße, ist letztlich vor allem eines: mehr Polizei. Und sie erhöht vielleicht Vertrauen und Kooperationsbereitschaft eines bestimmten Teils der Bevölkerung, ändert aber nichts am Grundproblem, dass sich ein Teil der Gesellschaft durch die Polizei sicherer fühlt und ein anderer unsicherer.
Redaktion: Fabian Stark