
Die Welt ist nie so profitabel, wie sie sein könnte
Zwei Jahre Unternehmensberatung haben nicht nur Felix Steins Kontostand verändert, sondern auch ihn selbst. Im Interview erzählt er, wieso wir auch in Zukunft nicht weniger arbeiten werden, was Powerpoint am Leben hält und was das Beratungswesen mit der Wirtschaftskrise seit 2008 und dem Neoliberalismus zu schaffen hat.
Eigentlich wollte Felix Stein über die Bauern im südamerikanischen Hochland promovieren – doch dafür hatte er einen zu großen Berg von Studienschulden angehäuft. Der verschwand auch nicht, als er sich schon beinahe im Flieger nach Bolivien sah. So heuerte Felix 2011 bei einer internationalen Unternehmensberatung und Wirtschaftsprüfgesellschaft an, wo er zwei Jahre lang etwa das Dreifache des durchschnittlichen deutschen BIPs-pro-Kopf verdiente. Die Schulden waren auf diese Weise schnell passé, und noch eine Fliege schlug Felix mit dieser Klappe: Aus seiner Zeit als Consultant entstand seine Doktorarbeit Work, Sleep, Repeat, die im Herbst bei Bloomsbury erschien.
Unternehmensberatungen
Roland Berger, Deloitte, McKinsey, Bain & Company, PricewaterhouseCoopers, Ernst & Young, KPMG, The Boston Consulting Group – das sind wohl die größten Namen der in Deutschland tätigen Unternehmensberatungen. Laut dem Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU) wächst der Beratungsmarkt um jährlich 7 Prozent und macht bundesweit mehr als 29 Milliarden Euro Umsatz. Das ist ein Viertel mehr, als deutschlandweit mit Alkoholika umgesetzt wird.

Felix Stein nebst “Work, Sleep, Repeat”
Felix, der Dramatiker Rolf Hochhuth hat mal “McKinsey kommt” geschrieben, ein Stück über die Angst der Angestellten vorm Einfall der Berater. Wie hast du diese Angst erlebt?
Bei einem Kunden sind wir Berater immer in der gleichen Kantine essen gegangen wie die Angestellten. Die meinten dann, wir würden da reinspazieren wie eine Gruppe Pinguine. Man ist ja meist mit Anzug und Krawatte unterwegs – wie das obere Management. Als deren langer Arm ist man oft unbeliebt.
Die Soziologie fragt ja schon lange, warum wir bei immer mehr Automaten unterm Strich nicht mehr Freizeit haben. In deinem Buch begründest du das mit der Autopoiesis durch die Beratungsindustrie. Was soll das heißen?
Consultants analysieren Firmen immer so, wie sie sind, und stellen das dann in Kontrast zu dem, wie sie sein könnten. Mal heben sie neue Technologien hervor, mal vergleichen sie die Firma mit überlegenen Mitstreitern. Das Ergebnis ist immer, dass die Welt noch nicht so gut ist, wie sie vielleicht sein könnte. Mit besseren Angestellten, interessanteren Produkten, stärkeren Standorten und schnelleren Kommunikationswegen könnte jede Firma noch größer, agiler und profitabler sein. Jedes Beratungsprojekt setzt also eine Utopie in die Welt, auf die man hinarbeiten soll – das meine ich mit Autopoiesis.
Auch wenn Maschinen immer mehr für uns erledigen, werden wir also nicht weniger arbeiten?
Als Berater habe ich gesehen, dass es überhaupt keinen Grund gibt, in Zukunft weniger zu schuften als heute. Beratungsarbeit produziert endlose Arbeit und ist selbst endlos.
Das Ende eines Beratungsprojekts scheint stets aus einer knalligen Powerpoint-Präsentation zu bestehen. Was macht das oft verspottete Programm so unkaputtbar?
Powerpoint funktioniert ein bisschen wie ein Comic. Da gewinnt man schnell Informationen, die die Anwesenden dann aber in hohem Maß selbst interpretieren. Consultants halten ihre Powerpoint-Folien möglichst leer, mit nur ein bis zwei Grafiken. Bulletpoints sind viel unpräziser als ein ausformulierter Text. Zusammenhänge sind nur schematisch dargestellt und zu Zahlen abstrahiert. Zudem erzeugt Powerpoint einen schnellen, direkten Effekt aufs Publikum – solange Ästhetik und Präsentation stimmen und der Inhalt nicht zu kontrovers ist. Mit diesem Mix aus Schrift, Bild und Charisma sind schnell alle einverstanden, so erzeugt man Harmonie. Dafür ist im Nachhinein oft nicht mehr nachvollziehbar, was mit den einzelnen Punkten eigentlich gemeint war.
Klingt nicht nach nachhaltigem Mehrwert…
Powerpoint tut so, als würde es objektives Wissen vermitteln, dabei ist es ein stark rhetorisches Instrument. Die Folien sollen perfekt aussehen. Da kann man bis spät in die Nacht daran arbeiten, dass der Font stimmt, dass kleine Symbole sauber gesetzte sind oder Pfeile und Formen elegant und systematisch wirken. Das nimmt etwa ein Fünftel der Zeit und Energie von jungen Beratern ein – das frustriert, ist aber zentral für die Rhetorik ihrer Tätigkeit.
Infolge der Wirtschaftskrise von 1929 bekamen gerade amerikanische Consultants großen Aufwind – sie sollten die Misere fixen. Welche Parallelen lassen sich da ziehen zur Krise seit 2008?
Viele Berater erzählten mir, die Finanzkrise sei schlecht gewesen für ihre Branche. Eine wichtige strukturelle Ähnlichkeit zum Amerika der 1930er Jahre ist aber sicher: Die Geschichte der Unternehmensberatungen geht Hand in Hand mit der Finanzialisierung unserer Wirtschaft, also mit der wachsenden Macht, Größe und Wichtigkeit des Finanzwesens über alle wirtschaftlichen Bereiche. Das hat man schon in den 1930er Jahren gesehen, als Berater es Banken und Gläubigern ermöglichten, Schuldscheine von insolventen Firmen zu übernehmen und diese so wieder attraktiv zu machen. Solange das Finanzwesen weiterwächst und Produktionsprozesse aus immer größerer Ferne gesteuert werden, vermitteln Berater zwischen Produktionsmanagement und Finanzwesen.
Manche Beratungen schmücken sich heute damit, “menschenzentriert” in die Zukunft zu denken, Romantic Business heißt das dann auch schon mal. Was hältst du von dieser Entwicklung?
Das ist tatsächlich eine eigentümliche Spannung, die sich momentan durchs Beratungswesen und durch die Wirtschaft allgemein zieht: Die Mitarbeiter sollen sich im Unternehmen selbst erfüllen, und zwar gemäß der Parameter, die der Arbeitgeber vorgibt: Leadership-Skills, Freundlichkeit, energetisches Auftreten, Arbeitseinsatz, Selbstvertrauen. So wird die Arbeit zum hoch-intimen Projekt, aus dem schwer wieder auszusteigen ist. Gleichzeig müssen Berater andere Menschen immer auch als austauschbares Mittel zum Zweck ansehen. Auch sie selbst müssen von Projekt zu Projekt neu beweisen, dass sie gut genug sind für die nächste Gehaltskategorie. So wird der Mensch gleichzeitig als soziales Wesen gefeiert und zur Ware herabgestuft.
Beratungen arbeiten oft auch für den Staat, so entwickelte die Firma Roland Berger maßgeblich die Hartz-IV-Gesetze mit. Was ändert sich, wenn Regierungen anfangen ihre Staaten zu „managen“ – statt sie zu regieren wie gehabt?
Staatsführung als Managementaufgabe zu verstehen kann sehr praktisch sein: Im besten Fall arbeitet man dann zielgerichtet, misst seine Arbeitsresultate systematisch und erhält sich stets einen Blick auf den Bürger als Endzweck der politischen Tätigkeit. Es birgt aber auch große Gefahren. So kann es dazu verleiten, Politik generell als eine Anhäufung technokratischer „Probleme“ zu verstehen, für die man dann „Lösungen” zu finden hat. Da wird man leicht blind für die historischen Wurzeln einer politischen Situation, für bestehende Wertkonflikte und für unterschiedliche Sichtweisen dessen, was überhaupt als Problem gilt. Nur weil man einen Sachverhalt als Managementproblem darstellt, ist man keineswegs wertneutral. Auch zeigt sich, dass im „Managementdiskurs“ in der Politik oft ein Faible für marktgesteuerte Prozesse mitschwingt, deren soziale Verträglichkeit heftig umstritten ist. Im Fall der Hartz-IV-Reformen sieht man das sehr klar.
Was hat all das mit dem Neoliberalismus zu tun?
Der Neoliberalismus beruht ja auf einer doppelten Idee: Zum einen soll sich der Staat auf eine Minimalfunktion zurückziehen und sich den Erfordernissen der Wirtschaft unterordnen. Zum anderen soll die Bevölkerung eines Staates sich mehr und mehr mit ökonomischen Werten identifizieren. Man soll sich als Entrepreneur fühlen, sich für den Arbeitsmarkt lesbar machen, ständig im Sinne des Arbeitgebers hinzulernen und die Arbeit als den Ort der Selbstfindung und Selbsterfüllung betrachten. Auch hier spielen Berater eine Vorreiterrolle. Sie feiern sich und ihre Kunden als wertvolle soziale Wesen, andererseits reduzieren sie einander auf die Funktionen, die sie im Sinne ihrer Auftraggeber auszuführen haben.
Trotzdem würde ich die Beratungsarbeit nicht auf ihre neoliberalen Aspekte reduzieren. Sie entspringt vielmehr aus Spannungen, die dem Kapitalismus selbst unterliegen – Management und Finanzwesen sind immer weiter von konkreten Produktionsprozessen entfernt, Firmen breiten sich über immer größere Distanzen und Märkte aus, die Wirtschaft wird abstrakter. Auch in einer kapitalistischen Gesellschaft, die nicht unbedingt neoliberal ist, können Berater daher ihrer Arbeit nachgehen. Sogar in einer sozialistischen Gesellschaft ist das denkbar: Da wäre der Kunde eben der Staat.
Manager als Chefs
Der Ethnologe Gerd Spittler unterscheidet Vorgesetzte als Herr, Meister und Manager. Manager haben dabei ein strukturelles Legitimationsdefizit: „Ein Manager greift mit seinen Entscheidungen detailliert in den Arbeitsprozess ein, auch wenn er nicht die Kenntnisse und Fertigkeiten besitzt, die für die Ausführung des Arbeitsprozesses notwendig sind. Das unterscheidet ihn von einem Meister, der besondere Kenntnisse und Fertigkeiten in einem bestimmten Beruf besitzt und dessen Autorität daraus abgeleitet ist. Manager und Meister haben gemeinsam, dass sie beide arbeiten und in den Arbeitsprozess eingreifen. Das unterscheidet sie vom Herrn, der zwar eine Herrschaft über Bauern, Knechte oder Sklaven ausübt, aber nicht direkt in den Arbeitsprozess eingreift. Gemeinsam ist den Herren, Meistern und Managern, dass sie gegenüber den Arbeitern Macht ausüben.” (Spittler, Anthropologie der Arbeit, S.127)
Sind Unternehmensberatungen am Ende nur neoliberaler Hokuspokus oder Heilsbringer der Wirtschaft?
Berater werden von manchen als die Könige der Geschäftswelt gefeiert und von anderen als elitäre Hochstapler verunglimpft. Beide Ansichten sind ziemlich fehlgeleitet. Mit Beratungsarbeit kann man an einem Tag Jobs bei einem Kaugummihersteller schaffen und am nächsten daran beteiligt sein, dass im Gas- und Ölwesen Tausende ihre Stelle verlieren. Insofern arbeiten Berater im Sinne eines marktinhärenten Nihilismus. Topmanager sind ja geschäftsorientiert und pragmatisch, und ihnen sind die Consultants untergeben. Deren Arbeit kann mal gute, mal schlechte Effekte auf Arbeitnehmer haben. Das spielt für Beratungsarbeit erst mal keine systematische Rolle. In anderen Branchen gibt es diesen Nihilismus auch, aber im Beratungswesen, wo Projekte und Kunden häufig wechseln, fällt er besonders ins Gewicht.
Wir haben nun viel darüber geredet, wie Unternehmensberatungen die Politik prägen und in das Leben vieler Menschen eingreift. Wie hat dich deine Arbeit selbst verändert?
Ich wurde ungeduldiger mit der Welt. Das zieht sich bis in die Freizeit: Wie lange dauert es, jetzt mit Freunden und Familie zu telefonieren, Essen einzukaufen, bis der Kaffee kommt? Das liegt daran, dass man als Berater ständig auf ein Projektende oder bestimmte Meilensteine hinarbeitet. Mein Bruder Sebastian ist Philosoph, der hat das beobachtet und bemerkt: Irgendwann versteht man Zeit nur noch in ihrer Endlichkeit. Ständig stellt man die Welt im Lichte einer geschäftlich orientierten und dringend erscheinenden Utopie in Frage.
Redaktion: Jakob Hinze