
Einmal Scientology und zurück
Wie gefährlich ist Scientology? Wie funktioniert die Organisation und wie gewinnt sie ihre Mitglieder? Juliane wollte für TONIC den Mythos Scientology brechen, trat der Kirche bei und erlebte die Manipulation am eigenen Leib.
Stechend, konzentriert, direkt in die Augen
Juliane lässt zwei Stunden lang ihre Seele testen Offener Raum, freundliche Begrüßung. Ich soll warten, bis jemand zu mir kommt. Nun sitze ich auf einer bequemen Ledercouch, gegenüber zwei Männer, einer mit Hemd und Schlips, Papier und Stift in der Hand. Er redet von Dynamiken, malt Kreise aufs Papier: Familie sei eine Dynamik, die Dynamiken müssen im Gleichgewicht sein. Bei ihm zum Beispiel, da waren sie es nicht, denn seine Frau wollte nicht, dass er zu Scientology geht. Das war nicht gut, daran hat er dann gearbeitet, er musste sich entscheiden, damit die Dynamiken wieder übereinstimmen. Seine Frau war auf der falschen Seite.

Ein komisches Gefühl, einfach so in das Scientologygebäude hineinzuspazieren
Ein älterer Mann kommt auf mich zu, weiße Haare, breites Lächeln, kräftiger Händedruck. Wir gehen in eine etwas weniger belebte Ecke des Empfangsraumes, auch er hat Papier und Stift dabei. Er fragt, wie ich heiße, ich erfinde einen Namen, er schaut mir fest in die Augen und beginnt zu reden. Er spricht von Kommunikationstraining und Auditing – zwei Worte, die ich hier noch häufig hören werde. Seit dreißig Jahren sei er schon bei Scientology, er zeigt in eine andere Ecke, in der drei Frauen Teller, Servietten und Töpfe zurechtrücken. Die mit den blonden Haaren, Judith, sei seine Frau. Sie habe Maultaschen gemacht. Ich sei herzlich eingeladen. Kostenpunkt: drei Euro. Ich nicke, Essen klingt gut und unverfänglich.
Er wolle mir nun ein bisschen was erklären – und malt einen Menschen auf das Papier, das sei ich. Es gebe meinen Körper und meinen Geist, der heißt Thetan, wir könnten es auch Seele nennen. Dieser bestehe aus zwei Teilen: einem analytischen und einem reaktiven Teil, dem Bewusstsein und dem Unterbewusstsein. Alle negativen Gefühle entsprängen nur dem reaktiven Teil, dem Unterbewusstsein. Dort speichere ich schlechte Erfahrungen, so ähnlich wie Traumata. In entscheidenden Situationen handle ich dann aufgrund dieser abgespeicherten Erfahrungen irrational, also nicht sinnvoll. “Das ist ja schlecht, nicht?”

Der Thetan entspricht bei Scientology in etwa dem, was wir Seele nennen. Im reaktiven Teil des Thetans, dem Unterbewusstsein, würden wir negative Erfahrungen speichern. Diese “Engramme” seien der Ursprung irrationalen Handelns.
Hier bei ihnen werde ich lernen, dieses Problem zu lösen. Wie, frage ich, und schaue wohl ein bisschen zu kritisch drein. Der Mann tippt wieder auf den Zettel, der zwischen uns liegt, und seine zu blauen Augen schauen mich stechend an. “Mit Dianetik”, sagt er und steht auf, um ein Buch holen. In dieser Zeit schaue ich mich etwas um: An der Wand hängt ein Plakat mit dem großen Titel “Die Brücke zur völligen Freiheit”, davor steht ein Tisch mit Büchern in altmodischem Design: “Eine glückliche Ehe führen”, “Eine erfolgreiche Erziehung”, “Erfolg im Leben”, “Eine glückliche Familie”.
Er kommt wieder, mit einem dicken Buch, dessen Cover einen Sciencefiction-Roman vermuten lässt: gelb-orange Lava, der dunkelblau schimmernde Aufdruck “DIANETIK” prangt darauf. “Es ist ein hochwissenschaftliches Buch, nicht immer leicht zu verstehen”, aber sie seien ja da, wenn ich Fragen hätte. Kostenpunkt: 45 Euro. Ronald Hubbard, der Gründer von Scientology, habe es selbst geschrieben. In diesem Buch will er erklären, wie man seinen reaktiven Verstand auslöschen und sich damit grundlegend von allen Ängsten und Schmerzen befreien zu kann. Ich lehne vorerst ab.
Es ist lachhaft, für einen Hungerlohn Zeilen zu schinden. Wer Millionen scheffeln will, gründet am besten seine eigene Religion.
Zur Hölle mit dieser Gesellschaft. Wir machen eine neue.
Eine blonde, elegant gekleidete Frau kommt zu uns und legt einen rosa Zettel auf den Tisch. Ein Persönlichkeitstest, den ich gerne machen könne. Ich stand schon immer auf Psychotests, also los. So einfach ist das aber nicht. Wir gehen in einen abgetrennten Raum, vorbei an Regalen, die voll sind mit dunkelbunten Büchern und CDs wie “Personal effektiv organisieren” oder “Der Sinn des Lebens”. Das hier sei die Bibliothek, hier könne ich studieren, jederzeit. Was ich denn in meinem Leben machen würde. Achso, Sozialwissenschaften, ja, das würde ja ganz wunderbar zu ihnen dazu passen, es gehe ja um den Menschen. Ja klar, der Mensch. Ich nicke.
Wir nehmen Platz auf zwei Ledersesseln, gemütlich sind sie. Ich möchte den Stift greifen und Kreuze auf diesem rosa Zettel machen. Darf ich aber nicht – Denn zunächst erfahre ich eine Stunde lang, wie toll hier alles ist. Und wie sehr sie sich freuen, dass ich da bin. Und vor allem, wie Scientology das Leben dieser näher betrachtet schlecht geschminkten Frau, Rita, Öffentlichkeitsreferentin sei sie, verbessert hat. Sie sei lange krank gewesen, keiner habe zu ihr gestanden, sie habe Freunde und Familie verloren. Die Welt da draußen sei böse, alles Teil der Abwärtsspirale, nur Drogen und Missbrauch, vor allem diese Psychopharmaka. Aber Scientology habe sie stark gemacht. Auch ich könne stark werden, mich befreien, dafür gäbe es Kurse. Nun aber bitte erstmal den Test machen, Dauer: zwei Stunden.
Ich sitze also da und kreuze munter an. Fühle ich mich manchmal unverstanden? Unterdrückt von meiner Umgebung? Kann ich mich immer durchsetzten? Bin ich manchmal traurig? Nein, ja, vielleicht, dann Verwirrung: doppelte Verneinungen schon in der Fragestellung. Beunruhigend viele Punkte drehen sich um Geld und Schulden. Kreuze, Kreuze, Kreuze, Ende.
Ich gehe zur Rezeption und melde, dass ich fertig bin. Während ich warte, kommen zwei interessierte Passanten durch die große Flügeltür. Sofort steht ihnen jemand zur Seite, möchte Fragen beantworten und Bücher verkaufen. Die beiden finden das sehr amüsant, wollten mal reinschauen und verschwinden kichernd wieder.
Die blonde Frau, deren Namen ich mittlerweile vergessen habe, eilt herbei und weiß meinen Namen noch ganz genau. Ich fühle mich in der Mangel, darf den rosa Zettel abgeben und auch gleich meine Adresse und Handynummer notieren. In zwei Tagen sei die Auswertung fertig, dann soll ich kommen und wir besprechen meine Probleme.
Direkt in die Augen schaut sie mir dabei, als wisse sie schon. Ihr Blick lässt mich nicht mehr los; So werde ich hier noch häufiger angesehen werden. Stechend, konzentriert, immer direkt in die Augen ihres Gegenübers. Das verunsichert, man hört zu und unterbricht nicht.
Dieser Blick ist Teil des Trainings zu erfolgreicher Kommunikation. Selbst im Alltag drehte ich am Rad, wenn mir jemand mit einem ähnlichen Blick begegnete. Dauernd meinte ich, jemanden aus der Kirche in der Stadt zu sehen. Ich habe kaum jemandem von meinem Projekt erzählt, weil ich plötzlich überall Scientologen wähnte.
Für mein nächstes Kommen vereinbaren wir einen Termin, Dienstag 14 Uhr, sie verlasse sich auf mich, ich solle pünktlich sein. Ich verlasse das Gebäude und habe Angst, dass mich jemand sieht, der mich kennt. Meine Schultern fallen nach unten, ich entspanne mich. Keine Ahnung, was ich erwartet hatte, aber die erste Bewährungsprobe habe ich wohl bestanden.
„Es geht hier um deine Probleme“
Nach der Seelenschau bekommt Juliane einen Vertrag in die Hand gedrückt
Es ist Dienstag, in meinem Kalender steht “Scientology 14 Uhr”. Um 13 Uhr ruft Rita an, sehr energisch, wie es mir denn ginge, gut, ja, das sei ja toll, sie freue sich auf später und erwarte mich. Ich melde mich am Empfang, ein kurzer Anruf des Rezeptionisten – es ist der Gleiche wie bei meinem ersten Besuch und ich frage mich, ob er in seinem Leben noch etwas Anderes macht – und Rita kommt strahlend aus einer Tür.
Meine Testauswertung, die sei nicht dramatisch, aber man müsse auf jeden Fall etwas tun. Wir setzen uns etwas abseits, sie erinnert mich plötzlich an eine Psychologin, zieht die Wörter in die Länge und starrt mir dabei fest in die Augen.
Ihr Zeigefinger fährt die Kurve auf meinem Testergebnisbogen nach. Hier, sie tippt auf die Blume, die sich um die Charaktereigenschaft ,aktiv’ kringelt, hier, läge mein größtes Problem. Ich sei nicht aktiv genug, ich brächte Dinge nicht zu Ende. Da habe sie doch recht, nicht wahr? Der Graph zeige außerdem deutlich, dass es mir an Selbstbewusstsein mangelt.

Der Test ist einer der klassischen Einstiege bei Scientology. Man bekommt auf der Straße einen “selbstverständlich kostenlosen Test” angeboten, der sogenannte Oxford Capacity Analysis Test, den auch ich absolviert habe. Durch ihn werden die “Schwächen” der Person offen gelegt. Im anschließenden Gespräch wird versprochen, den Menschen von diesen vermeintlichen Defiziten zu befreien.
Ich müsse lernen, das zu erreichen, was ich will, zu kommunizieren und meinen Mitmenschen klar zu machen, was sie tun sollen. Das Wort “Befehl” fällt nicht, würde als Ausdruck aber treffen. Ich mime naiv, nicke und möchte alles darüber erfahren. Sie empfiehlt mir einen Selbstbewusstseinskurs, das sei wirklich sehr wichtig für mich, daran müsse ich arbeiten. Kostenpunkt: 45 Euro. Danach sollte ich auf jeden Fall an meiner Kommunikation arbeiten. Meine Ergebnisse seien zwar sehr gut, aber trotzdem. Ich hätte ja sicher schon sehr oft bemerkt, dass die Menschen nicht das tun, was ich von ihnen möchte.
Da Scientology jetzt TOTALE Freiheit bringt, muss sie auch die Macht und die Autorität haben, totale Disziplin zu fordern.

Ich gebe Rita das Geld für meinen ersten Kurs in bar, einen 50-Euroschein, sie verschwindet kurz und kommt mit dieser Spendenquittung und einem Fünf-Euroschein zurück. Das erste Dokument, das mir freiwillig ausgehändigt wird. Ich habe also gerade an Scientology gespendet. Halleluja.
Wir reden zwei Stunden lang. Eigentlich ist es Rita, die redet, und zwar über mich, meine Familie und meine Freunde und mein kaputtes Leben. Wie sehr sie mich alle unterdrücken, und dass ich mir das nicht gefallen lassen muss. Ich sei unsicher und meiner Umgebung gegenüber zu kritisch. Im Laufe des Gesprächs deckt sie noch weitere charakterliche Mängel auf, an denen ich dringend arbeiten müsse. Nach zwei Stunden steht fest: Ich bin faul, bringe nichts zu Ende, halte nicht viel von mir und meinen Mitmenschen, kann mich nicht durchsetzen und habe keine Freunde. Mein Leben ist offensichtlich total kaputt. Aber hier, bei Scientology, können sie mir helfen. Rita legt mit ihre Hand auf dem Arm und ihr Mund lächelt, während ihr Augen mich fixieren. Sie haben hier Seminare und Kurse, mit denen ich mein Leben wieder in den Griff bekommen könne. Irgendwie ging das ganz schön schnell, von den Maultaschen hin zu einem Leben, dass ich “in den Griff” bekommen muss.
Ob ich eine Kopie des Vertrags mitnehmen kann? Kommt gar nicht gut an, meine Frage.
Wie es denn finanziell bei mir aussehe, ich könne diesen Monat auch das Kommunikationsseminar machen. Es ginge über drei Tage, gleich nächstes Wochenende. Es sei notwendig, so schnell wie möglich weiter zu kommen. Kostenpunkt: 90 Euro. Gleich zwei diesen Monat werde ich wohl nicht schaffen, ich gebe mir Mühe, traurig zu schauen, sie mitleidig und verständnisvoll. Ob ich denn dann heute gleich anfangen könne? Es gebe jeden Tag drei Kurszeiten, hier sei mein Stundenplan, ich soll eintragen, wann ich kommen kann. Sie würde dann mal den Vertrag holen, zahlen müsse ich auch gleich, lächelt und stöckelt davon. Von einem Vertrag war bisher nicht die Rede.

Zwei Tage später kam jemand auf mich zu, ein Blatt Papier in der Hand. Hier der Vertrag, unausgefüllt. Den wollte ich doch unbedingt haben, habe Rita gesagt. Ich weiß nicht so ganz, was ich jetzt davon halten soll, bin aber froh, dass ich das Dokument in meine Tasche stecken kann. Wenn du draufklickst, siehst du den ganzen Kontrakt als PDF.
Beim Lesen des Vertrages, der ja eigentlich “Antrag auf Teilnahme” heißt, wird mir ganz schlecht. Das ist der erste Moment in meiner Recherche, der mich zweifeln lässt. Reite ich mich mit dieser Unterschrift nicht gewaltig in die Scheiße? Wenigstens mitnehmen will ich ihn, eine Kopie, um herauszufinden, was ich nun darf und was ich besser lassen sollte. Ich bitte Rita also, eine Kopie mitnehmen zu dürfen. Ich erkläre, das mache ich immer so, um nachlesen zu können, was ich unterschreibe, meine Mama habe mir das so beigebracht. Kommt aber gar nicht gut an, diese Frage. Meine Begründung auch nicht. Ich bleibe trotzdem hartnäckig, mehrmaliges, beiläufiges Nachfragen, aber keine Chance. Rita lächelt nicht mehr, die Augen dafür um so fester auf mich gerichtet. Das ist mir doch zu heikel, ich will ja noch mehr Leute hier kennenlernen, die Räume sehen, den Sonntagsdienst besuchen. Ich kehre also schnell wieder zu nett und naiv zurück.
Ich unterschreibe und ein extrem mulmiges Gefühl macht sich breit in mir. Jetzt stecke ich hier drin und ich weiß nicht einmal, in was genau. Als Rita noch mal kurz mein Kursbuch holen geht, möchte ich gerne den Vertrag abfotografieren. Ich erinnere mich aber noch rechtzeitig an die Überwachungskamera über mir und die vielen Bildschirme, auf die der Rezeptionist den ganzen Tag starrt.
Ich soll gleich meinen Namen in ein Buch schreiben und in einer halben Stunde im Kursraum sein. Ich meine, dass ich eigentlich gerne gehen würde, mich mit einer Freundin treffen – Rita lächelt, ich könne natürlich gehen, wann ich will. Aber es wäre sehr wichtig für mich, heute schon anzufangen. Je schneller ich “auf Kurs komme”, desto besser für mich. Siewolle mir ja nur helfen, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Ich dürfe das nicht unterschätzen. “Es geht hier schließlich um dich und deine Probleme.” Ihr Lächeln ist steif, ihre Stimme bedrohlich.
Ich nicke, gebe meinen Stundenplan ab und folge ihr.
Scientology bringt mich „auf Kurs“
Rita bringt mich in den dritten Stock, das Gebäude ist größer, als ich dachte. Wir gehen vorbei an dem Büro von L. Ron Hubbard. Die Tür steht offen, ein Seil mit goldener Verzierung hängt davor. Ich erinnere mich, gelesen zu haben, dass jede Gemeinde, Org wird sie genannt, einen Raum in ihrem Gebäude dem Scientology-Gründer zu Ehren gestaltet. Es stehen viele Bücher und schwere, teure Möbel darin. Im Treppenhaus hängt eine lange Liste, mehr als hundert Namen sind darin eingetragen. Ich frage, was es bedeute, Rita erklärt, ihre Org bekäme nächste Woche Besuch von der Scientology-World-Tour. Die Liste sei die Anmeldung für ein kostenloses Seminar, das deswegen am Samstag stattfinde. Ich solle doch auch kommen, alle freuten sich sehr auf diesen Tag, das wäre ein Erlebnis. Ich sage “Vielleicht”. Jeder Gang hat etwa acht Zimmer, viele Türen sind geschlossen, doch in einigen Räumen sehe ich Leute sitzen, die sich leise unterhalten. Rita klopft an einem Zimmer, auf dessen Tür ein goldenes Schild mit der Aufschrift “Kursraum” genagelt ist. Wir treten ein, ich trage mein Kursbuch wie ein Schutzschild vor mir, erwarte Massen an Menschen und böse Blicke.
Der Raum ist klein, vielleicht 15 Quadratmeter. Es sitzen zwei Männer darin, über ihren Heften gebeugt, einen Stift in der Hand. Eine junge Frau, um die 20, spricht leise auf den Älteren der beiden ein. Sie schaut kurz hoch und nickt, kein Lächeln, Konzentration. Ich solle mich hier hinsetzen, ein eigener Tisch, hier ein Stift. Im Buch sei erklärt, was ich tun soll. Hier ein Duden, falls ich ein Wort nicht verstehe, “Verstehen” sei wichtig. Bei Unklarheiten solle ich sie fragen. Ich müsse immer alles verstehen, was in diesem Buch steht. “Nur dann bist du erfolgreich.”
An der Wand hängen gerahmte Auszeichnungen, Kursüberwacherzertifikat für Nadine, wir gratulieren herzlich. Ich lese in meinem Kursbuch. Schwafeleinleitungstexte, im gleichen Stil wie Ritas Reden. Böse Welt, armer Mensch, L. Ron Hubbard wird mir helfen, glücklich zu werden, Erfolg zu haben, mich zu befreien. Ich bin jetzt also “auf Kurs”.
Sagen oder veröffentlichen Sie niemals etwas, was Sie nicht beweisen oder dokumentieren können. Dokumentieren Sie immer die Wahrheit, um Lügen entgegen zu treten.
Das Kursbuch ist aufgebaut wie ein Aufgabenheft in der fünften Klasse. Das bunte Cover ist in braun und gold gehalten, auf etwa 100 Seiten stehen Erklärungstexte und Arbeitsanweisungen. “Schreiben Sie auf dieser Seite, was Sie an Ihrer Umgebung nicht mögen. Führen Sie hier auf, wann Sie sich Ihren Mitmenschen gegenüber ausgeliefert fühlen.” Die Fragen sind geschickt gestellt, manipulativ darauf ausgerichtet sich klein und bedürftig zu fühlen, dazu einen Hass gegen die Familie und Freunde zu schüren. Wenn man eine Aufgabe erledigt hat, muss man sie auf den Tisch des Kursüberwachers legen. Der Text wird kontrolliert und kommentiert. Wenn er nicht richtig ist, wenn man etwas also nicht verstanden hat, dann muss man ihn nochmal schreiben. Manchmal gibt es auch motivierende Kommentare à la “Wir schaffen das!” am Rand des Aufsatzes, in dem es darum geht, zu beschreiben, wie man mit Scientology seine Beziehung zu seinen Mitmenschen effektiver gestalten möchte.
Ich rutsche unruhig auf dem Stuhl hin und her, starre aus dem Fenster, werde die ganze Zeit beobachtet und habe Angst, dass meine Tarnung auffliegt. Essen und Trinken ist in diesem Raum verboten, damit man nicht abgelenkt wird. Nach drei Stunden darf ich gehen, ich lege mein Kursbuch auf den Stapel mit all den anderen Kursbüchern, mitnehmen darf ich es nicht. Soll aber sagen, wann ich wieder kommen werde. Ja, morgen.
Ich freue mich auf Zuhause, darauf, nicht die ganze Zeit aufpassen zu müssen, nicht zu lange irgendwo hin zu schauen und auf meinen falschen Namen zu hören. Die freundliche Atmosphäre, die ich am ersten Tag noch im Foyer gespürt habe, ist verschwunden. Ich finde den kleinen Raum in dritten Stock beklemmend, vor allem, weil ich nicht weiß, was passieren würde, wenn ich einfach vor Ende der Kurszeit gehen möchte oder eine der Fragen, die gestellt werden, nicht beantworte.
Distanz bewahren? Pustekuchen
Juliane merkt, wie sehr Scientology über ihren Alltag wacht
Ich bin inzwischen zwei- bis dreimal die Woche bei Scientology, sitze mit meinem Kursbuch in diesem Raum und beantworte Fragen, erzähle aus meinem Leben, reflektiere über mich und meine Umwelt und schaue dabei viel aus dem Fenster. Oft sitzt neben mir ein junger Mann, vielleicht 20 Jahre alt, ich weiß inzwischen, dass er Medizin studiert. Er wirkt wie ein ganz normaler Student, mit dem man auch mal gut Party machen kann und ich frage mich, was er hier macht.
Bevor ich hierher kam, habe ich mich oft gefragt, wer denn trotz aller Medienberichte so leicht zu manipulieren ist, dass er auf Scientology reinfällt. Jetzt wundere ich mich über die ganzen jungen Leute hier, die Familien und Kinder, die so normal und glücklich wirken, aber jeden Tag hier sind und wohl all ihr Geld ausgeben, um auf der Brücke der Weisheit ein bisschen nach oben zu kommen. Ich habe vorab einen hohen Stapel Erfahrungsberichte gelesen, um Bescheid zu wissen. Und ich habe mein Experiment mit dem festen Vorsatz begonnen, sogar der Gewissheit, mich nicht belabern zu lassen. Ich habe mir einen anderen Namen zugelegt, eine neue Lebensgeschichte und ein zweites Handy, deren Nummer nur Scientology hat. Ich bin vorsichtig, schalte mein richtiges Handy immer aus, bevor ich das Scientology-Gebäude betrete. Ich schreibe jeden Tag auf, was ich erlebt habe, unterhalte mich mit meinem Mitbewohner darüber und versuche mit aller Kraft, die Distanz zu wahren.
Pustekuchen. Sie sind gut, zu gut. Seitdem ich hier bin, habe ich angefangen, viel in Frage zu stellen, mich vereinnahmen zu lassen, von ihrer Gedankenwelt und ihren Werten. Bei allen Techniken, die sie bei mir angewendet haben, sind sie subtil vorgegangen, haben sich viel Zeit für mich genommen, haben lange zugehört und noch länger geredet, dabei freundlich geschaut und mich nicht aus den Augen gelassen.

Anrufe von Scientology gehören zum Alltag. Für meine Recherche habe ich mein altes Handy wieder hervorgekramt und mir eine zweite SIM-Karte zugelegt. Vor jedem Besuch habe ich dann das Handy in meiner Hosentasche gewechselt. Ich wurde oft angerufen, jedes Mal kurz vor meinen Besuchen, damit ich auch wirklich komme. Auch, wenn ein paar Tage dazwischen lagen, denn ich sei ihnen sehr wichtig, sie wollen wissen, ob es mir gut geht. Als ich irgendwann nicht mehr gekommen bin, gab es wochenlang Anrufe auf meiner Mailbox – von verständnisvoll bis bedrohlich war alles dabei.
Im Kursraum steht eine Tafel, auf der die Erfolge der einzelnen Leute vermerkt sind. Man bekommt einen Magnet mit seinem Namen und bewegt sich immer weiter nach oben. Wer einen Kurs abgeschlossen hat, erhält viel Lob von allen Seiten. Wenn ich beim Mittagessen in der Kantine, dich sich im Dachgeschoss befindet, meinen Nudelsalat esse, sind da immer ganz viele freundliche Menschen, die mich loben, dass ich so fleißig bin, und auf Kurs sei, betonen, wie wichtig das sei. Scientology habe ihr Leben verändert, sie seien jetzt glücklich, ich könne so froh sein, dass ich mir jetzt mit Scientology auch diese Chance eröffne. Wenn ich mit meinem Sitznachbarn darüber geredet habe, dass ich in meiner Hausarbeit für die Uni grade gar nicht weiter käme, hat man mir am nächsten Tag jemand vorgeschlagen, doch einen Kurs zur Verbesserung meiner Leistungsfähigkeit zu belegen. Habe ich jemandem erzählt, dass ich am Wochenende nach Hause fahren werde, hat mir der Rezeptionist beim Verlassen des Gebäudes eine gute Heimfahrt gewünscht. Ich war, wie so oft, beeindruckt von der Informationsweitergabe zwischen den Leuten, mit denen ich in der Org zu tun hatte. Nicht einmal habe ich mich ohne Begleitung im Gebäude bewegt.
Ganz gleich, welchen Schwierigkeiten Sie im Leben gegenüberstehen – Scientology bietet Lösungen.
Seitdem ich zum ersten Mal das Scientologygebäude betreten habe, wurde ich auf Schwachstellen abgetastet. Ich habe mich so oft gefragt, wie all diese normalen, gesunden Menschen hierher kommen. Dass man als unausgeglichene, unglückliche Person willens ist, viel Geld für leere Versprechungen zu bezahlen, finde ich einleuchtend. Warum ein durchschnittlicher, erfolgreicher Medizinstudent das Gleiche tut, war mir unverständlich. Aber jeder Mensch hat Schwachstellen, ein Problem, so klein es auch sein mag. Und sie finden oder erfinden dieses Problem und machen es zu deinem Leben, bis du nur noch daran denken kannst. Danach versprechen sie, dieses Problem zu lösen. Kostenpunkt: ziemlich viel.
Verhör, Beichte, Therapie
Juliane eröffnet ihrem Auditor ihr Trauma
Besonders neugierig war ich bei Scientology auf das Auditing – Wurde es mir doch als die einzige Möglichkeit zur Befreiung von allen negativen Gefühlen verkauft. Ich fragte also mehrmals vorsichtig nach; nach zwei Wochen hatte ich dann einen Termin zu einer Probesitzung. Auditing kommt aus dem Lateinischen: audire, zuhören. Es ist eine von Scientology-Gründer Ron Hubbard entwickelte Fragetechnik, eine Mischung aus Verhör, Beichte und Therapieform. Ausgebildete Auditoren entlocken ihren Klienten persönliche Lebensdaten.

Die Hände auf dem Schoß, die Augen geschlossen. So sitze ich bei meiner ersten Auditingsitzung mehr als zwei Stunden. Beim Auditing erzählt man von einem traumatischen Erlebnis, sehr Privates und Bewegendes aus dem eigenen Leben. Dabei wird man emotional alleine gelassen. Der Auditor stellt Fragen, neutrale Stimme, kein Mitgefühl. Nachdem man einige Stunden Auditing absolviert hat, weiß dieser Auditor - und somit die ganze Scientology-Organisation - sehr viel Persönliches.
Mir sitzt ein glatt rasierter Mann im Anzug gegenüber, sanfte Art, intensiver Blick – ich bin irgendwie angeekelt. Ich muss ein Video anschauen, das mir erklären würde, wie negative Erfahrungen, so genannte Engramme, sich in meinem Verstand abspeichern und zu unpassenden Situationen wieder hochkommen – der Grund für unkontrolliertes, irrationales Verhalten, das mir und meiner Umgebung schadet.
Danach begeben wir uns in einen hellen Raum, zwei Stühle, die sich gegenüber stehen. Meditative Stimme, ich soll meine Augen schließen und an ein schlimmes Erlebnis denken, mich in die Situation von damals hineinversetzen. Ich erinnere mich an den tödlichen Autounfall und die Beerdigung einer Lehrerin, die ich sehr mochte. Jetzt soll ich ihm erzählen, was genau damals passiert ist. Immer und immer wieder. Ich beschreibe detailliert, wie die Umgebung aussah, wer sonst noch anwesend war, wie ich mich gefühlt habe. Dadurch soll ich alle Emotionen dem Ereignis gegenüber verlieren und es so verarbeiten. Mich sozusagen von seiner Macht befreien. Wenn ich sage, ich könne mich an ein bestimmtes Detail nicht mehr genau erinnern, wird seine Stimme ein wenig lauter und bestimmter, er hakt nach, so oft es geht. Ob man das in der Auditorenausbildung lernt?
Der Gottesdienst
Nach der Predigt erzählt eine Frau, wie ihr Wille einen Unfall verhinderte. Juliane steigt aus
Es ist Sonntag und ich gehe in die Kirche, Sonntagsdienst heißt das hier. Ich bin spät dran, um halb zwölf geht es los. Stolpere ins Gebäude, melde mich an und möchte gleich weiter – geht aber nicht, so “alleine”. Es wird jemand gesucht, der mich begleitet, nach ein paar Minuten findet sich ein junger Herr, ungefähr in meinem Alter, Schlipsträger wie die meisten hier. “Hallo Juliane” – mich kennt er schon, seinen Namen erfahre ich nicht. Hier gehts lang, ich darf vorgehen, er direkt hinter mir. Der Keller ist dunkel, in einem Raum schimmert Kerzenlicht, ich höre Gemurmel. Es sind etwa 20 Menschen, die Hälfte der Stühle ist besetzt. Vorne steht ein großes Bild von L. Ron Hubbard, silbern umrahmt, davor stehen viele weiße Kerzen. Daneben ein Rednerpult, das Scientologykreuz prangt darauf. Sonst ist der Raum eher schlicht gehalten. Auf jedem Stuhl liegt “Eine Einführung zu den Andachten der Kirche”.
Wir beginnen mit dem Glaubensbekenntnis. Es war einer der seltsamste Moment meiner Recherche, als ich in Kerzenscheinlicht im Keller den Scientology-Gebäudes gemeinsam mit gut 20 euphorisierten Menschen “Wir von der Kirche glauben…” gesprochen und dabei auf das silbern umrahmte Bild von L. Ron Hubbard gestarrt habe. Das Heftchen, “Einführung in die Andachten der Kirche”, hat man mich nur sehr ungern mitnehmen lassen.

Eine Gebrauchsanweisung für den Sonntagsdienst, samt Glaubensbekenntnis. Per Klick kommst du zum vollständigen PDF.
Der Religionscharakter von Scientology wird sehr betont. Wiederholt wurde mir erklärt, dass sie an einen Gott glauben, ein positives Menschenbild haben und definitiv eine vollwertige Religion sind. Eine Religion, die außerdem einwandfrei vereinbar mit allen anderen Religionen auf der Welt ist, denn es sei sozusagen ein Zusammenschluss aller, nichts schließe sich aus.
Ich erkläre hiermit Scientology für unpolitisch und nicht-ideologisch.
Am Rednerpult steht ein Mann in einer schwarzen Kutte, er trägt eine Kette mit einem großen S. Er lächelt viel, sprüht sein Charisma in den Raum und bekommt anhimmelnde Reaktionen zurück. Jetzt möchte er uns etwas ganz Besonderes vorlesen, die Spannung steigt, er macht eine Kunstpause.
Er trägt einen Text von Albert Schweitzer vor, es geht um Freiheit und Individualität, jeder soll tun und glauben, was er möchte, sich nicht von Anderen einschränken lassen. Die Menschen neben, hinter und vor mir sind angefixt, strahlen, fühlen sich verstanden. Dass ein so großer Mann das damals schon erkannt hat!
Dann erzählen sie Erlebnisse aus ihrem Leben, bei denen sie keiner verstanden hat, alle sie für verrückt erklärt haben. Die Frau neben mir habe mit ihren Gedanken einen Unfall verhindert, sie hat das Auto mit ihrer Willenskraft angehalten. Die anderen applaudieren, sie glauben ihr, hier könne man alles sagen, nicht so wie in der Welt da draußen. Wenn sie sagt, sie habe das Auto mit ihren Gedanken angehalten, dann sei das so! Ich empfinde die Situation als surreal.
Realität ist im Grunde genommen Übereinstimmung – die Sache, mit der wir übereinstimmen, dass sie real ist, ist real.
Der Sonntagsdienst ist vorbei, es gibt Mittagessen. Alle reihen sich in die Schlange ein, Kartoffelbrei mit Fleischkäse, dazu Salat, danach Kaffee. Man sitzt zu fünft an runden Tischen und unterhält sich über die tolle Predigt und das gute Essen. Ich strahle, alles toll, fühle mich wie ein einziges Grinsen und bin froh über die Tasse Kaffee, in der mein Gesicht versinken kann. Der Kaffee aber ist scheußlich.
Ich bin heute zum letzten Mal hier, außer mir aber weiß das niemand. In den letzten sieben Wochen habe ich hier viel Zeit verbracht, geschwankt zwischen Amüsement und Angst, Mitgefühl und Misstrauen, seitenweise Aufsätze über mein Versagen und meine Ziele bei Scientology in meinem Kursbuch verfasst und insgesamt drei Hefte mit Notizen gefüllt.
Die nächste Kurszeit beginnt, ich verabschiede mich und muss versprechen, nächsten Sonntag wieder zu kommen. Ich sage ja und meine nein, denn ich werde nicht wieder kommen. Ich werde aus der Tür heraustreten, nicht mehr an mein Scientologyhandy gehen und einfach verschwinden.