
Postmoderne in der Steppe
Als TONIC-Fotograf Paul Toetzke durch Kasachstan reiste, erwartete er Steppe und Staub. Was er fand, waren monumentale Überbleibsel vergangener Utopien. Ein Vorgeschmack auf das TONIC Plakazin n°7 über Wohnen und Architektur in Osteuropa
Kasachstan, Zentralasien – das klingt nach Weite, nach Steppe und nach Staub. Nach Nomaden, die mit ihren Jurten durch sattgrüne Hochebenen ziehen. In Almaty, im Süden Kasachstans, stach mir jedoch vor allem brutalistische Architektur ins Auge, dazu breite, verstopfte Straßen und die ständig neu hervorspringenden Wolkenkratzer mit ihren Glasfassaden.
Im Sommer 2016, als ich durch Kasachstan reiste, musste ich mich erst daran gewöhnen. Doch schon nach ein paar Wochen war ich fasziniert von dieser irren Mischung aus post-sowjetischen Monumentalbauten, den teils absurden futuristischen Experimenten und den dazwischen auftauchenden nomadischen Elementen.
Dass bis auf Afghanistan alle „Stans“ zur Sowjetunion gehörten, wird oft vergessen.
Schaut man auf die Karte, sticht die Größe Kasachstans hervor, das über den restlichen zentralasiatischen Ländern thront. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR entstanden hier neue Staaten. Grenzen wurden willkürlich gezogen, Volksgruppen getrennt. Heute ist die Region ein ethnischer und religiöser Flickenteppich mit einem unübersehbaren sowjetischen Erbe. Und die jungen Nationalstaaten sind auf der Suche nach ihrer eigenen Identität.
Besonders deutlich merkte ich das in Astana, wo der langjährige Präsident des Landes Nursultan Nasarbajew seine Vorstellungen einer modernen, utopischen Hauptstadt verwirklichen wollte – und sich nebenbei ein Denkmal gesetzt hat. Vor wenigen Wochen ist er zurückgetreten. Jetzt soll Astana umgetauft werden, der neue Name: Nursultan.
Von Astana aus bin ich weitergereist, nach Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan. Überall ähnelte sich das Bild: Die Städte werden von sowjetischen Prachtbauten dominiert, zwischen denen sich die neuen Machthaber ihre eigenen Staatsnarrative geschaffen haben, in Form von Denkmälern und riesigen Repräsentativbauten. Die Suche nach einer nationalen Identität, der Spagat zwischen Vergangenheit und Zukunft, und auch die autoritären Staatsformen dieser Länder – all das spiegelt sich auch heute noch in der Architektur wider.
Das TONIC Plakazin n°7 über Wohnen und Architektur in Osteuropa erscheint im Mai.