
Norbert W. auf Fleischsafari
Ein neuer Trend sorgt bei Reiseveranstaltern für sprudelnde Einnahmen: Charterbusse karren Kurzurlauber zu polnischen Schlachthöfen und sind voll bis auf den letzten Platz. Die Bevormundung durch neunmalkluge Vegetarier ist passé – nun können die Gäste richtig die Sau rauslassen.
Nachdem Reiseveranstalter zuletzt herbe Verluste verkraften mussten, gibt es in der Branche jetzt wieder einen Aufwärtstrend: Touristen zieht es in Scharen auf polnische Schlachthöfe. Der Fleisch-Bus startet morgens, außer am Wochenende, um sechs ab Berlin Zoo und fährt nonstop zum nächstgelegenen Schlachthof hinter der Grenze. Die Massenhinrichtung von Schweinen, Rindern und Schafen beginnen dort um neun Uhr.

Wer will, darf mit den Fingern essen.
Norbert W. aus Magdeburg hat sich getraut und durfte, unter Aufsicht des Schlachters, selbst zum Stoßbolzen greifen und sein erstes Rind erlegen.
“Das war ein tiefgründiges Erlebnis für mich. Das Brüllen der Kreatur, das dampfende Blut – das hat schon was! Hier bekommt man nicht nur Appetit, sondern auch ein Gefühl für die Endlichkeit allen Lebens”, so der Ostdeutsche nach seiner ersten eigenen Hinrichtung.
Nach einer ausgiebigen, etwas ermüdenden Führung über den Schlachthof im polnischen Oborzany beginnt der schönste Teil der Reise – die Verkostung. Die Fleischtouristen nehmen dazu an einer urigen, rustikalen Tafel Platz.
Klaus F. aus Chemnitz stimmt gut gelaunt den Fleischsong an: “Krieg ich endlich Fleisch zu essen / kann ich Gemüse glatt vergessen. /Fett und blutig muss es sein, mal vom Rind und mal vom Schwein.” Und alle singen mit. Endlich erscheint die 17-jährige Magda aus dem Dorf und reicht den Männern riesige Bierkrüge, gefolgt von ihrer nicht weniger hübschen Kollegin, welche die Fleischplatten an den Tisch bringt. Manch derber Scherz über die Schönheit der Polinnen macht die Runde: “Die Kleene könnte sich gleich mit auf die Platte legen, aber bisschen zappeln muss sie noch!” Volkstümliche Musik aus Deutschland erklingt aus den Lautsprechern. Wer will, darf mit den Fingern essen oder die Lende mit dem eigenen Hirschfänger zerteilen.
Der Tourismus kurbelt die Binnenkonjunktur an
“Einfach ma uff Bio scheißen und een par ordentliche Steaks verdrücken – dit is doch, wat wa alle wolln”, antwortet Richard Dosolowski, der Reiseleiter, auf die Frage, warum der Fleischtourismus momentan so sehr im Kommen sei. Das Fleisch an sich sei leider auf dem besten Weg, aus der gesellschaftlichen Mitte verdrängt zu werden. So ähnlich wie das Rauchen.
Die Entwicklung hin zum Vegetarismus oder gar Veganismus sei alarmierend. Es bestünde dringender Bedarf, diesem Trend etwas entgegenzusetzen, so Richard Schroeter, Leiter des Fleischtourismus bei einem weltweit agierenden Reiseunternehmen. Die Idee für die Fleisch-Safari war ihm auf einer Reise nach Argentinien gekommen, wo er an der traditionellen Schlachtung einer Horde Koberinder teilhaben durfte. “Dieses Erlebnis werde ich nie vergessen – das war der Grundstein, worauf wir nun aufbauen wollen.”
Marek Z. wohnt direkt am Schlachthof in einer Bauernkate und freut sich, dass wieder Leben in seinen Ort einkehrt. Dem Blutgeruch, welcher vom Schlachthof direkt in sein Schlafzimmer weht, kann er einiges abgewinnen. Schließlich hat er sich zu einer Umschulung zum Schauschlachter entschlossen, weil Leute gesucht wurden, die Deutsch sprechen (er war vorher Deutschlehrer an der Grundschule).
Ob sich der Fleischtourismus durchsetzen wird? Marktanalysen des Tourismusverbandes in Zusammenarbeit mit der Fleischindustrie belegen: Die Leute haben Bio satt, fühlen sich in ihrer Esskultur bevormundet und wollen vor allem im Urlaub viel billiges Fleisch auf ihren Tellern sehen. Sieben von zehn Befragten haben zwar noch nie ein Tier getötet und neun von ihnen auch keinen Menschen, wären aber an einem Aktivurlaub am Bolzenschussgerät mit anschließendem Ausbluten und Ausweiden interessiert, wenn die anschließende frugale Fleischmahlzeit all inclusive ist.
Nachtrag 11. Oktober 2014: Dieser Artikel ist fiktiv. Da dies manche Leser nicht erkannten, ist die Realität der Geschichte trotz ihrer Absurdität offenbar denkbar. Das macht sie zu Satire.