
A Watschn für die Politik
Am Wochenende wählt Bayern. Der CSU droht ein Debakel, die AfD könnte stärkste Oppositionspartei werden. Was ist da los? Wir sind in die bayerische Kleinstadt Mühldorf am Inn gefahren – deren Bewohner eigentlich zufrieden sind. Eigentlich.
Dienstagvormittag auf dem Stadtplatz von Mühldorf am Inn, 20.000 Einwohner. Wir wollen wissen, was die Leute hier bewegt, so kurz vor der Landtagswahl. Nur: Es gibt keine Leute, die Innenstadt ist menschenleer. Ein paar Minuten dauert es, dann kommt eine Frau in den Fünfzigern vorbei. Was sie am meisten beschäftigt? „Die Parkplatzsituation!“ Dann zieht sie weiter.
Mühldorf scheint es gut zu gehen. Die Stadt wächst jedes Jahr um rund 600 Menschen. Denn Mühldorf liegt für Pendler günstig rund eine Stunde von München und im bayerischen Chemiedreieck, einer Region, in der sich viele Chemieunternehmen angesiedelt haben. Die Arbeitslosenquote liegt mit unter drei Prozent unter dem Bundesdurchschnitt.
Dennoch scheinen die Bürger hier unzufrieden zu sein. Bei der vergangenen Bundestagswahl wurde die AfD zweitstärkste Kraft, die CSU verlor stark. Nun, bei der Landtagswahl am Wochenende, könnte sie ein historisches Debakel erleben. Woher die Unzufriedenheit?
Parkplätze allein können es kaum sein.
Das Atelier
| In einem Atelier unweit des Stadtplatzes treffen wir Herbert Grünwald. Der Rentner sitzt an einem kleinen Arbeitstisch, die Augen zusammengekniffen, er richtet sie auf einen kleinen Goldring zwischen seinen Fingern. Fast jeden Tag kommt er hierher, um Schmuck herzustellen. „Es ist ein Traum“, sagt Grünwald und deutet in Richtung Schaufenster. Sein Schaufenster. „Im Jahr verkaufe ich vielleicht sechs Ringe“, sagt er. „Aber darum geht’s nicht.“ Grünwalds Rente reicht.
„Man kann eigentlich nur noch radikal wählen.”
Das Atelier ist Hobby und Lebenstraum, den er sich verwirklicht hat. Grünwald sitzt gerne hinten in der Ecke des unscheinbaren Ladens, in den sich selten jemand verläuft, und hämmert, schleift und feilt an kleinen Ringen und Steinen. Hier stört ihn niemand. Außer die Politik. „Man kann eigentlich nur noch radikal wählen”, sagt er.
Herbert Grünwald war nie ein traditioneller CSU-Wähler. „35 Jahre habe ich die SPD gewählt und werde das jetzt nicht mehr tun”, sagt er. Er, der sich als Arbeiter versteht, hat den Sozialdemokraten vieles nicht verziehen. Die Rente mit 67 zum Beispiel, von Hartz IV wolle er erst gar nicht anfangen zu reden. „Was ist das für eine Arbeiterpartei? Da kann ich auch gleich Schwarz wählen.” Doch das kommt für ihn nicht in Frage.
Die Landtagswahlen – für Grünwald eine Möglichkeit der Bundesregierung einen Denkzettel zu verpassen. AfD oder die Linke, ganz entschieden hat er sich noch nicht. Mit Landespolitik habe seine Entscheidung jedenfalls nichts zu tun. Es geht ihm nur um die Politik der etablierten Parteien, wie er sie nennt. Aus Grünwalds Sicht machen die nämlich nichts für die Menschen. „Die schützen doch nur die VW-Bosse und locken ausländische Investoren, sodass sich normale Menschen die Mieten nicht mehr leisten können.”
Die Welt, in der Grünwald aufgewachsen ist, sie verändert sich. „Ich finde, wir haben ein bisschen viel Demokratie”, sagt er. Und: „Die Jugend kennt weder Werte noch Anstand.”
Das Café Orange
| Die Jugend – und nicht nur sie – trifft sich am Wochenende bei Christoph Mirz im Café Orange, einer Bar, die früher mal ein Technoclub war. An seinem Tresen kommen unterschiedlichste Menschen mit unterschiedlichsten Meinungen zusammen. „Natürlich gibt es Diskussionen, aber alles ganz friedlich. Richtige Auseinandersetzungen gibt es wegen anderer Sachen”, sagt er und zerhackt eine Ananas auf einem Schneidebrett. Er bereitet sich vor für den Abend. Eigentlich hat er dienstags geschlossen, aber heute hat sich eine Gruppe Krankenschwestern angemeldet, ein Geburtstag. „Die können gut feiern”, fügt er hinzu und grinst.
„Wenn du in Mühldorf eine bezahlbare Wohnung findest, dann hast du meist ein Studentenwohnklo mit Aussicht auf den Kellerschacht.”
Auch Mirz kann die Politik nicht mehr ganz ernst nehmen. Auch er hat eine Form des Protests für sich entdeckt. Er ist Mitglied der Satire-Partei Die PARTEI. „Der Seehofer ist so ein Depp”, sagt er und muss laut lachen. „Schau dir doch mal an, was die da in Berlin machen – was willste dazu noch sagen?” Er tippt sich an die Stirn und zerhackt weiter die Ananas.
Die da in Berlin müssten sich nicht wundern, dass die Leute scharenweise zu anderen Parteien laufen, analysiert er: Der rechte Flügel der CSU sei nun bei der AfD, der linke bei den Grünen. Mirz kennt fast jeden in der Stadt. Und ja, es gebe hier auch reale Probleme, die die Politik zu lange ignoriert habe. „Wenn du in Mühldorf eine bezahlbare Wohnung findest, dann hast du meist ein Studentenwohnklo mit Aussicht auf den Kellerschacht.”
Das Wohnungsproblem sei viel präsenter als die Debatte um Geflüchtete, sagt Mirz. „Das interessiert schon längst keinen mehr.” Sein Ratschlag: Wenn wir wirklich wissen wollen, warum die Leute hier AfD wählen, sollten wir nach Mühldorf Nord fahren. Denn dort war die Partei bei der Bundestagswahl in Mühldorf am stärksten.
Das Spießerparadies
| Also auf nach Mühldorf Nord. Wir steigen in ein Taxi. Die Fahrerin merkt sofort, dass wir nicht aus Bayern sind. Schnell dreht sich das Gespräch um Mühldorfer Sorgen. Die meisten ihrer Fahrgäste seien politisch, die meisten seien erzürnt, behauptet sie. Die Bandbreite reiche von Ärger über zu wenig Kitaplätze, zu viele Geflüchtete bis zu zu hohen Mieten und zu wenig Parkplätzen. Auch sie selber ist nicht zufrieden. „Was ich wähle, weiß ich noch nicht genau. Jedenfalls aber nicht die CSU – und die AfD auch nicht“, sagt sie zum Abschied. Dann steigen wir aus, in Mühldorf Nord.
Jetzt ärgern sich die Menschen über Münchner Migranten, die alles teurer machen und ihnen die Parkplätze wegnehmen.
Wir stehen in einem Vorstadt-Paradies, um uns herum Reihenhäuser, Vorgärten und Carports. Die Straßen menschenleer, einzig eine Katze kreuzt gemütlich den Weg.
Ein älterer Herr öffnet uns. Er guckt verdutzt und antwortet wortkarg.
Sind Sie zufrieden hier?
„Geht so.“
Was ist das Problem?
„Die zugezogenen Münchner.“
Wieso das denn?
„Die kaufen alles weg, machen alles teurer. Überall nur Münchner, nur Münchner Kennzeichen.“
Die Stadt hat in München aktiv Werbung dafür gemacht, dass man doch nach Mühldorf ziehen soll. Und die Menschen kommen. Es ist günstiger, ruhiger, und trotzdem gut angebunden.
Durch den Zuzug steigen aber nicht nur die Mieten, wie uns eine Frau erzählt, die 50 Meter weiter wohnt. Als sie die Tür öffnet, weht uns kalter Rauch und eine Menge Unzufriedenheit entgegen. „Ich habe ewig keinen Kita-Platz für mein Kind gefunden”, erzählt sie. Zu viele Bewerber. Außerdem gebe es zu wenig Supermärkte. „Und ohne Auto kommt man nicht in die Innenstadt.“
Mühldorf wächst schnell, manchen zu schnell. Die Infrastruktur wurde hingegen zu langsam ausgebaut. Und jetzt ärgern sich die Menschen über Münchner Migranten, die alles teurer machen und ihnen die Parkplätze wegnehmen. Sie haben Angst, dass bald nichts mehr so ist, wie es einmal war. Doch wählen sie deshalb die AfD?
Eine Frau – sie steht auf ihrem Balkon und beobachtet uns einige Minuten – ruft uns zu: „Was macht ihr denn da?“ Wir wollen wissen, wie es den Menschen hier geht. „Gut“, ruft sie zurück. „Noch!“ Wovor sie denn Angst habe? „Könnt ihr euch doch denken“, sagt sie und verschwindet in ihrer Wohnung. Ihre Nachbarin beschwert sich kurz darauf, dass „für die Flüchtlinge alles getan wird – für uns aber nichts“.
Mühldorf Nord ist der Prototyp spießiger Idylle. Es ist sauber und leise. Die Menschen, die hier wohnen, können sich eine Doppelhaushälfte mit Carport und ein oder zwei Autos leisten. Sie pflegen ihre Vorbeete und trennen ordnungsgemäß den Müll. Da greift die Angst vor Veränderung. Angst vor Unsicherheit. Angst vor der Zukunft – die weit schwerer zu planen ist als die Neubefliesung der Terrasse. Manche denken offenbar, die AfD könne ihnen diese Angst nehmen.
Rebecca Barth und August Modersohn waren mit Kollegen von der Journalistenschule ifp einen Tag lang in Mühldorf. Sie haben darüber eine Radiosendung produziert, die hier zu hören ist.