Arzije und Céline trafen drei Aktivistinnen, die im Kosovo gegen das Patriarchat kämpfen. Daraus entstand der Film „Der Lärm der Frauen”. Er zielt nicht allein auf die starren Traditionen der jungen Republik, sondern will Frauen auf der ganzen Welt verbünden.
I just saw your video (…) and wanted to say that’s the first so far for years, that finally somebody is speaking out (…). I am so happy and mad at the same time seeing that video. I’m mad cuz I’ve heard seen and felt a lot of that. You are really important. You and all the girls out there who are still afraid to talk. I believe your voice can make a change. <3
Auf den Straßen Pristinas ist es laut. Autohupen vermischen sich mit dem Geräusch von Motoren und dem Getümmel der lebhaften Hauptstadt Kosovos. Auch drei junge Aktivistinnen machen Lärm: Klara Gordon nahm als 17-Jährige am ersten Frauenmarsch im Kosovo teil; ihr zorniges Gesicht wurde zu dessen Symbol. Jeta ist 25, arbeitet bei der Menschenrechtsorganisation Artpolis, kämpft für die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen und Bildungsgerechtigkeit. Adelina Tershanis Poetry-Slam-Auftritt über die Unterdrückung der Frau auf dem Mutter-Teresa-Platz in Pristina ging viral. Die 21-Jährige wird ihre Stimme weiterhin erheben, bis das Gesetz keine Frauen mehr benachteiligt.
Im Juni 2018 flogen Arzije Asani und Céline Stettler von Zürich nach Pristina, um Der Lärm der Frauen zu drehen.
„Im Krieg flüchteten viele Kosovaren und Albaner nach Europa, jeder 20. in der Schweiz lebende Mensch hat die kosovarische Staatsbürgerschaft. Doch wir leben viel zu sehr nebeneinander her.
Der Kosovo erschien uns als ein interessanter Schauplatz für unseren Film für Frauenrechte. Dort trifft man auf verschiedenste Konventionen und Normen: Manche Menschen leben immer noch nach festgefahrenen, traditionellen Rollenbilder, andere trotzen genau diesen Rollenbildern. Bei den unzähligen Demonstrationen am Mutter-Teresa-Platz sieht man vor allem erwachsene Frauen, aber auch Jugendliche beider Geschlechter. Gerade junge Frauen wollen mehr Rechte, die Schweigekultur brechen und sich gegen ihre Väter und Brüder durchsetzen; sie wollen wirtschaftliche Freiheit, Eigentum und Mitsprache.
Auf unsere Protagonistinnen, Adelina, Jeta und Klara, sind wir über Instagram aufmerksam geworden. Alle drei sind Aktivistinnen, jede auf ihre eigene Art. Sicher hat es geholfen, dass Arzije Albanisch spricht und die drei im gleichen Alter sind wie wir. Dadurch kam die große Nähe zu unseren Protagonistinnen. Nicht nur Frauen aus dem Kosovo können sich mit Klara, Jeta und Adelina identifizieren, sondern Menschen auf der ganzen Welt. Denn auch wenn im Kosovo viele patriarchale Traditionen sehr stark sind, man findet sie auch anderswo.
Mit dem Kurzfilm wollen wir Frauen auf der ganzen Welt zeigen, dass niemand alleine ist mit diesen Problemen und dem Kampf für ihre Rechte. Am schönsten wäre es, das Format an anderen Orten weiterzuführen.“
– Arzije Asani & Céline Stettler
Arzije Asani & Céline Stettler
«Mein Herz ist an zwei Orten auf dieser Welt zu Hause. In Pristina und in Glasgow, meinem Geburtsort. Durch meine Adern fliesst das kosovarische temperamentvolle Blut meiner Mutter – die schottische Kälte stammt von meinem Vater. Die beiden haben sich während dem Kosovo-Konflikt kennengelernt.» Klara ist 17 Jahre alt und lebt seit ihrem zehnten Lebensjahr in Pristina.
Arzije Asani & Céline Stettler
Bajram – der Tag, an dem die Straßen von Dardania, einem Viertel am Rande der Stadt, menschenleer sind.
Arzije Asani & Céline Stettler
«Pristina, die Stadt mit den spähenden Augen und dem verschmutzten Himmel, war damals der unbekannte Ort, an dem ich gelandet bin. Und es ist auch der erste Ort, an dem ich nicht ich selbst sein kann. Aber mit der Zeit auch erkannte, dass ich stärker bin als meine Ängste. Meine Mutter hat mir immer die Freiheit gelassen mich so zu kleiden, dass ich mich gut fühle. Im Kosovo jedoch muss man die Mentalität der Leute berücksichtigen, wenn man rausgeht. Man kann nicht einfach anziehen, was man will – denn hier geschieht alles unerwartet.»
Arzije Asani & Céline Stettler
In diesem Land gilt das Gesetz als teuerstes Gut und nur derjenige kann es sich leisten, welcher reich ist und genügend Kontakte pflegt. Ein Plakat von Bill Clinton hängt an den Fassaden einer Wohnsiedlung. Sein Gesicht hängt dort, als Gedenken an den Kosovo-Konflikt und als Danksagung des Einsatzes der NATO-Streitkräfte unter der Führung der USA.
Arzije Asani & Céline Stettler
Die 25-jährige Jeta arbeitet bei der Organisation «Artpolis», die sich für Frauenrechte einsetzt. Der Hauptsitz von Artpolis ist ein ist eine umfunktionierte Wohnung.
Arzije Asani & Céline Stettler
Jeta spricht über das Beziehungs- und Sexualleben junger Frauen: «Wenn man als Frau mehrere Sexualpartner hat, wird man als Schlampe bezeichnet. Es gibt viele, denen solche Etiketten aufgebunden wurden, nur weil sie sich für einen unkonventionellen Lebensstil entschieden haben»
Arzije Asani & Céline Stettler
Im Kosovo liegt der durchschnittliche Monatslohn bei circa 300 Euro. Trotzdem zahlt man für Nahrungsmittel im Supermarkt einen ähnlich hohen Preis wie in der Schweiz.
Arzije Asani & Céline Stettler
Adelina ist 21 Jahre alt und wird hier als radikale Feministin bezeichnet. Wegen ihrem Poetry Slam am «Shesh» – der großen Querstraße, die durch das Zentrum führt – wird sie an der Uni anders behandelt, auf Social Media gemobbt und erhält Morddrohungen. Sie wird von einem Auto beinahe angefahren und bedroht, beim nächsten Mal ganz umgefahren zu werden, wenn sie weiter spricht.
Arzije Asani & Céline Stettler
«Ermordet durch den eigenen Ehemann, nachdem sie sich 16 mal an die Polizei gewandt hat.» Missbrauch, Häusliche Gewalt, Vergewaltigung und sogar Mord an Frauen sind Themen, die immer noch totgeschwiegen werden im Kosovo. Nur wenige Medien berichteten über den Tod von Zejnepe, der Frau, die nach 16 Hilferufen an die Polizei nicht gehört wurde und jetzt tot, begraben unter Blumen liegt.
Arzije Asani & Céline Stettler
Dobraj, Lipjan ist das Dorf, in dem Adelina aufgewachsen ist. Ungewöhnlich selten trifft man Frauen auf den Strassen an, während Männer in Gruppen am Dorfplatz sitzen und sich austauschen.
Arzije Asani & Céline Stettler
Vielen Frauen wird das Recht auf ihr Erbe ausgeschlagen, beziehungsweise an den Ehemann oder anderweitig weit entfernten Männern in der Familie vermacht. Viel Landgut steht deshalb leer und wird im Verlaufe der Zeit von der Natur zurückerobert.
Arzije Asani & Céline Stettler
«Die Frauen der Generation meiner Mutter verfügen über kein eigenes Geld. Viele können sich keine Hygieneartikel wie Binden leisten“ erzählt Adelina. „Das Geld wird anderweitig eingesetzt vom Familienoberhaupt. Das will ich ändern.» Sie bestickt ihre Kleidung mit symbolischen Sujets und schafft so einen subversiven Weg, um ihre Botschaften und Anliegen in die Gesellschaft zu tragen.
Arzije Asani & Céline Stettler
Der Kosovo ist ein sehr junges Land, ohne Gleichberechtigung unter den Geschlechtern. Jeta, Adelina und Klara sind Teil von einem gesellschaftlichen Wandel der das Land zweiteilt. Das korrupte und männerdominante Rechtssystem im Kosovo versagt – gerade bei der Rechten, Schutz und Bildung für Frauen. Häusliche Gewalt, Drohungen und Beschimpfungen gehörten zum Alltag von Frauen jeder Generation. Viele Frauen, aber auch Männer, müssen neue Wege finden um eine Stimme und Hilfe zu erhalten.