Jeder Liebende ist verrückt, glaubt man. Vermag man sich aber auch einen liebenden Verrückten vorzustellen?

Als ich das letzte Mal in Halle war, besuchte ich mit einem Seminar die Gerichtsmedizin. Wir sahen zu, wie die poröse Leber eines Alkoholikers in feine Scheiben geschnitten und seine Zunge durch den Hals herausgezogen wurde. Seitdem riecht Halle für mich nach Formaldehyd und dem Erbrochenen meiner Kommilitoninnen. Ich durfte jetzt die Stadt erneut besuchen, um den Release der Webserie Findher mit zu zelebrieren. Genauer gesagt eine Preview der Folgen 2 und 3. Die wurden im Studio von MDR Sputnik gezeigt und danach gab es ein Privatkonzert eines deutschen Popstars. Exciting!

Beste Rahmenbedingungen also, um mein Bild von Halle noch zu verschlechtern.

„Ich hätte gerne einen Orgasmus … also den Cocktail.“

*

In Findher datet sich der 29 Jahre alte Architekt Tim in 26 Episoden durch alle nur denkbaren Frauenklischees: Die Stalkerin, die Hipsterin, die Minderjährige (!!!), die Dating-Veteranin … Sein toxischer Bruder Ben (ihre Eltern scheinen ein Faible für Namen mit drei Buchstaben zu haben) begleitet ihn auf seiner Suche nach der „großen Liebe“.

Jede Folge spielt in derselben Bar, die Witze rangieren zwischen grob-sexistisch und schlichtweg irritierend. Wenn zum Beispiel ein Date von Tim einen „Orgasmus“ bestellt und er dreimal an die Bar schlurft, um den gleichen uninspirierten Gag zu bringen: „Ich hätte gerne einen Orgasmus … also den Cocktail.“ Oder der folgende Dialog zwischen Tim und seinem Bruder:

Tim: „Ich brauche deine Hilfe.“

Ben: „Wieso?“

Tim: „Alter, die ist voll psycho, Mann, die weiß alles über mich.“

Ben: „Was?“

Tim: „Ja, die ist bestimmt eine Serienmörderin oder so was.“

Ben: „Serienmörderin? Eher nicht. Das ist extrem selten bei Frauen.“

Generell wirft dieses Machwerk mehr Fragen auf, als es zunächst beantwortet: Warum steht auf jedem Tisch in der Bar eine Kerze, die nicht brennt? (Spoiler: In Folge 2 wurde der Fehler behoben. Wer bei 1:04 pausiert, kann 16 verschiedene Lichtquellen zählen.) Warum heißt ein Manöver, bei dem Ben so tut, als hätte er einen Herzinfarkt, um ein unangenehmes Date von Tim zu unterbrechen, „Alien“? Warum gibt es diese Serie überhaupt? Glaubt der MDR wirklich, mit Findher die Generation Y fürs Öffentlich-Rechtliche zu begeistern?

Der Abend in Halle war insgesamt ziemlich beschissen. Es gab auf der Release-Party im MDR-Sputnik-Studio weder Freigetränke noch Häppchen. Glasflaschen wurden am Einlass einkassiert und zum Rauchen mussten wir selbstverständlich nach draußen. Auf meinem VIP-Bändchen war das Gesicht von Bosse abgebildet, weil der später noch ein Studiokonzert geben würde. Bosse ist für die Musik das, was Findher für die deutsche Serienlandschaft ist.

Nach dem Screening von Folge 2 und 3 begrüßte uns eine Moderatorin vom Radiosender MDR Sputnik mit „Hallöchen Popöchen“ und erinnerte uns an das Rauchverbot. Sie führte dann noch ein kurzes Podiumsgespräch mit dem Hauptdarsteller der Serie, einigen Nebendarstellerinnen und dem Produzenten, der so bayerisch war, dass er eine grüne Filzjacke mit Holzknöpfen trug. Als cineastische Besonderheit der Webserie führten sie dann die hin und wieder aufpoppenden Traumsequenzen an. JEDE deutsch- oder englischsprachige Serie der letzten zehn Jahre hatte mindestens eine Traumsequenz. Aber geschenkt.

Wer kennt sie nicht, die irre Stalkerin, die sich vor dem ersten Date die Krankenakte des Bruders besorgt?

*

Nach einer kurzen Pfeffipause bei Rewe durfte Bosse ran. Er hatte eine authentische Pianistin, einen authentischen Cellisten dabei und einen authentischen Beanie auf dem Kopf. Seine sehr authentische Musik war sehr authentisch und mitten aus dem Leben gegriffen. Genau wie die Frauenfiguren bei Findher. Ich meine: Wer kennt sie nicht, die irre Stalkerin, die sich vor dem ersten Date die Krankenakte des Bruders besorgt und nebenbei noch einen Sprachfehler hat – wahrscheinlich, weil sie zu viel Zeit im Internet verbringt. Natürlich soll es sich hierbei um eine komödiantische Überspitzung handeln, aber wozu? Wozu 26 Folgen lang verschiedene weibliche und männliche Rollenklischees durchackern in einer viel zu hellen Bar in einer Stadt, die nach Tod stinkt und nach Bosse klingt?

Es ist leicht, sich über Trash-TV (beziehungsweise YouTube, Fernsehen schaut ja keiner mehr) lustig zu machen. Vielleicht ist das auch nicht immer sinnvoll. Die Webserie Ecke Weserstraße von 2014 schaue ich mir nach wie vor gerne an, auch wenn sie katastrophal schlecht ist. Aber sie tut niemandem weh. Findher hingegen suggeriert, Frauen seien wandelnde Abziehbilder, welche Mann zu Dutzenden in eine Bar beordert, bis er schließlich „die einzig Wahre findet“. Die Serie verkauft das als Satire. Dafür ist sie aber bei Weitem nicht lustig genug. Zumindest in den ersten drei Folgen – Findher hat ja noch 23 Episoden Zeit, um sich zu steigern. Bis dahin nehme ich mir die weisen Worte von Bosse zu Herzen: „Lalala Lamentier nicht“.

Dieser Artikel ist Teil unserer Recherche über das Online-Dating der Zukunft – das Thema unseres ersten Plakazins.

Mitarbeit und Instagram-Takeover: Kristina Jovanovic

Redaktion: August Modersohn