Dazu: [Pro Asyl](http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2014/Infopapier-Fluechtlinge_privat_aufnehmen-PROASYL-Nov-2014.pdf) informiert über die Aufnahme von Flüchtlingen, [Zeit Online](http://www.zeit.de/politik/2015-08/ehrenamtliches-engagement-fluechtlinge/komplettansicht) listet viele Möglichkeiten, Flüchtlingen zu helfen und mit ihnen zu arbeiten.

Dazu: Pro Asyl informiert über die Aufnahme von Flüchtlingen, Zeit Online listet viele Möglichkeiten, Flüchtlingen zu helfen und mit ihnen zu arbeiten.

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Im Konsum könnt ihr die Sub Altern Metro Map als gedrucktes Plakat bestellen und im Redaktionsblog lest ihr, warum wir sie gemacht haben.

Jede Linie auf der Sub Altern Metro Map erzählt den Weg eines Menschen nach Europa. So gründet jeder Personalwechsel, jedes Abschiebegefängnis, jedes stillgelegte Gleis auf einer persönlichen Geschichte. Zu Teilen ähneln die Linien darum sogenannten Hauptfluchtrouten, aber immer weichen sie ab. Für Menschen aus dem Globalen Süden gibt keine verlässlichen Wege nach Europa, erst recht keine sicheren.

1.

Die Dokumentation

Die U-Bahnlinien 1 bis 17 entstammen Recherchen und Protokollen von TONIC, unserem Partner Emerge, Zeit und Zeit Online, Süddeutsche Zeitung, taz und fluter. Viel Spaß beim Nachverfolgen!

1.1.

U1 Tunesien – Deutschland

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Riadh Ben Ammar

Von Tunesien aus stellt Riadh (43) dreimal einen Visumsantrag: mit 19, 22 und 27 Jahren. Erst der letzte wird angenommen – mit falschen Angaben. Riadh fliegt von Tunis nach Amsterdam und steigt in den Zug Richtung Kopenhagen. Im deutschen Puttgarden wird er kontrolliert; Dänemark war damals noch kein Schengenraum. Er fährt zurück nach Hamburg, doch sein Zwei-Wochen-Visum ist bereits abgelaufen und Riadh stellt einen Asylantrag. Jetzt ist Riadh Regisseur und engagiert sich im Netzwerk Afrique-Europe-Interact.

Riadh, du setzt dich als Aktivist für Bewegungsfreiheit ein. Was machen Grenzen mit uns Menschen?

Grenzen schaffen eine Atmosphäre der Kriminalisierung, denn sie zwingen Menschen in die Illegalität. Wo Grenzen sind, gibt es keine Entwicklung, sondern nur Hass, Tod und Rassismus. Und das gilt für beide Seiten der Grenze. Ich war in den letzten Jahren viel in Grenzregionen unterwegs und auch die Stimmung in Süditalien oder Griechenland ist katastrophal. Die jungen Menschen, die nach Europa kommen, sind vor allem neugierig, so wie ich damals. Grenzen erzeugen vor allem Missverständnisse.

Was für Missverständnisse?

Eine offene Grenze bedeutet, dass die Menschen hin und zurück können. Eine geschlossene Grenze bedeutet, dass man nicht mehr zurück kann. Als Anfang der 2000er die Grenzen zu Polen fallen sollten, hatten viele Menschen Angst, dass alle Polen plötzlich nach Deutschland auswandern würden. Der Pole war in der Diskussion der Dieb, der Betrüger, der Kriminelle. Als die Grenzen dann weg waren, ist dieser rassistische Diskurs gegenüber den Polen untergegangen. Das ist das Missverständnis: Die Menschen sind nicht von Natur aus Betrüger, erst die Grenze macht sie dazu.

Du bist selbst vor 16 Jahren von Tunesien aus nach Deutschland gekommen. Wann hast du das erste Mal über Politik nachgedacht?

Eigentlich wollte ich zu meinem Onkel nach Norwegen. Mein Visum galt dort aber nicht. Daraufhin bin ich nach Hamburg, wo ich einen Asylantrag stellen musste und dann ins Lager nach Mecklenburg-Vorpommern kam. 2004 kamen Aktivisten dorthin und haben mit uns geredet. Aber ich war nicht überzeugt, von dem, was die erzählt haben. Ich habe vor allem mir selbst die Schuld für meine Situation gegeben. Was mich dann politisiert hat, waren die Proteste gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm. Durch eine Freundin kam ich nach Rostock in eine WG, die die Proteste vorbereitet hat. Dort habe ich viel gelesen und die Möglichkeit gehabt, über die Beziehungen zwischen Afrika und Europa nachzudenken.

Und 2010 hast du dann das Netzwerk Afrique-Europe-Interact mitgegründet?

Als ich 2008 dann endlich legale Papiere hatte, habe ich zunächst gearbeitet. Aber die G8-Proteste sind in meiner Erinnerung geblieben und mir war klar, dass da was nicht stimmt und dass wir was ändern müssen. 2010 haben wir deshalb Afrique-Europe-Interact gestartet. Wir arbeiten eng mit afrikanischen Aktivisten zusammen. Unsere erste Aktion war dann Anfang 2011 eine Autokarawane zum Weltsozialforum in Dakar, um für Bewegungsfreiheit und selbstbestimmte Entwicklung zu protestieren.

Du hast auch ein eigenen Theaterstück entwickelt.

Die Revolution in Tunesien hat mich inspiriert. Ich war vor und nach der Revolution oft dort und habe die Veränderungen ganz nah miterlebt und welche Rolle die Grenze bei der Revolution gespielt hatte. Deswegen habe ich das Theaterstück „Hurria! Theatrale Revolution für Bewegungsfreiheit“ entwickelt. Ich habe bei Afrique-Europe-Interact vor allem Reden gehalten. Das Theater ist eine andere Form der Öffentlichkeitsarbeit. Ich habe gemerkt, dass dieses Mittel sehr wichtig ist, um Unrecht aufzuzeigen. Ich möchte mit dem Stück erklären, was junge Menschen dazu bewegt, nach Europa zu kommen und warum die Bewegungsfreiheit so wichtig ist. Das Theater ist der Ausdruck meines politischen Aktivismus.

Das Thema Flüchtlinge und Grenzen ist in Deutschland ja gerade wieder aktuell. Wie nimmst du die aktuelle Situation wahr?

Diese Flüchtlingskrise, von der alle sprechen, gibt es schon viel länger. Wir haben schon vor fünf Jahren versucht, über die Auswirkungen der Festung Europa aufzuklären. Das ist die falsche Politik, denn die Menschen schaffen es so oder so nach Europa zu kommen. Ich glaube, die deutsche Regierung handelt nicht aus Humanität. Deutschland braucht Arbeitskräfte und was wäre da besser als gut ausgebildete Syrer? Hinter dem „Wir schaffen das“ von Angel Merkel steckt eine kapitalistische Denkweise: Wir nehmen die, die wir brauchen und der Rest landet im Abschiebegefängnis. Grenze und Kapitalismus sind eng verknüpft.

Aber hat sich in der deutschen Gesellschaft nicht auch viel geändert? Was ist mit der oft beschworenen neuen deutschen Willkommenskultur?

Deutschland ist ein reiches Land und deshalb kann Deutschland helfen. Deswegen war ich auch nicht überrascht über die vielen Menschen an den Bahnhöfen. Ich weiß, dass viele Menschen in Deutschland ein gutes Herz haben. Ich habe kein Probleme mit den Menschen, ich habe ein Problem mit dem System.

Wann würdest du dich als Aktivisten am Ziel sehen?

Mein Ziel ist Frieden im Mittelmeer und die Entwicklung der Länder dort. Denn in diesem Meer herrscht ein Krieg, in dem in diesem Jahr schon mehr als 2.000 Menschen gestorben sind. Das sind so viele Menschen mit Perspektiven und Träumen und starkem Willen. Alle Länder müssen dafür Verantwortung übernehmen. Ich würde mir wünschen, dass unsere Gesellschaften mehr in Kontakt kommen und dadurch verstehen, das es uns durch die Grenzen allen schlechter geht. Deutschland fühlt sich immer weit weg vom Mittelmeer, aber das stimmt nicht.

Die Fragen stellte Imre Balzer.

1.2.

U2 Afghanistan – Deutschland

*

Amil

18 Stunden im Laderaum eines Busses. Bulgarische Polizisten stehlen Geld und Telefon.

Das Dorf, in dem Amil im Westen Afghanistans lebt, ist klein. Er hat darin keine Mühe jemanden zu finden, der „Kontakte hat“. Er bezahlt in bar. Ein kleiner Betrag, nur ein Vorschuss. Je weiter er kommt, je mehr Grenzen er passiert, desto teurer wird die Reise werden. Aber es ist ja sehr ungewiss, wie weit er kommt. Zunächst nimmt er einen Bus Richtung Westen. Vor der Grenze zum Iran heißt es Aussteigen. Der Kontaktmann schickt Amil zu Fuß über die Grenze, bleibt zurück. Er weist noch die Richtung, wo sie langzugehen haben. Ziel ist ein Treffpunkt, von wo aus Busse nach Teheran fahren. Sollte nicht mehr als acht Stunden dauern. Amil macht sich auf den Weg, ist wenig später raus aus Afghanistan. So weit, so gut. Jetzt geht er weiter.

Die Busfahrt von Teheran aus wird weniger gemütlich. Der Bus ist eine Katastrophe und noch 150 andere wollen mit. Amil kommt im Laderaum unter. Dort zieht er die Knie an, den Kopf ein, und Abfahrt. Das dauert 18 Stunden ohne Zwischenhalt. Als er sich wieder bewegen darf, ist er in Urmia, eine Stadt im West-Iran, an der Grenze zur Türkei. Wieder soll es zu Fuß drübergehen, nur diesmal über ein Bergmassiv. Winterfest sind die Sachen nicht, die Amil trägt, und schon gar nicht gebirgstauglich. Aber das nützt jetzt nichts. Mit ein paar Dutzend anderen macht er sich auf den Nachtmarsch. Trotz der Dunkelheit sehen sie Leichen auf ihrem Weg. Und wenig später erfahren sie auch, weshalb. Die iranischen Grenzposten entdecken sie auf ihrer Patrouille und schießen. Wer noch rennen kann, rennt, jetzt talabwärts, noch einmal 14 Stunden. Zwei aus der Gruppe können aber irgendwann nicht mehr und bleiben zurück.

Im türkischen Van bekommt jeder in der Gruppe Dokumente ausgehändigt, mit denen man sich in der Türkei frei bewegen kann. Nach Istanbul geht es deswegen im Bus; 24 Stunden lang sitzt Amil auf etwas, das auch dafür vorgesehen ist, und endlich ist mal wieder ein Stück ganz einfach. In Istanbul hört er sich erst mal um: Manche sagen, über den Landweg gehe es weiter, nach Bulgarien. Andere sagen, nach Griechenland, im Boot. Amil wird beides probieren. Zuerst Bulgarien. Aber Polizisten – oder eher: deren Hunde – fangen sie ab. Das gibt böse Wunden und ein paar Tage Haft. Geld und Telefon werden Amil abgenommen, bevor sie ihn wieder wegschicken. Also Griechenland. Das Boot, in dem Amil sitzt, wird beschossen und anschließend sich selbst überlassen. Nach fünf Stunden im Wasser wird er gerettet, aber das hätte auch schiefgehen können. Von jetzt an versucht er wieder, von Erdine aus zu Fuß nach Bulgarien zu kommen, noch sechsmal. Fünfmal erwischt ihn die Polizei und inhaftiert ihn. Beim sechsten Mal schafft er es über den Stacheldrahtzaun nach Europa.

Amil weist seine Familie in Afghanistan an, dem Kontaktmann eine weitere Summe auszuzahlen. Dafür vereinbart er mit einem Schlepper vor Ort, ihn durch Bulgarien zu bringen. So zieht eine Gruppe von 45 Personen durch den dichten Wald. Nach 18 Stunden bedeutet ihnen der Schlepper zu warten. Er verschwindet. Niemand kommt. Vier Tage und vier Nächte durchstreift die Gruppe das Waldgebiet, trinkt aus Pfützen, isst Blätter und Gräser. Dann irgendwann etwas, was wie ein Pfad aussieht – er führt aus dem Dickicht. Die Flüchtlinge marschieren weiter bis nach Sofia und nach Serbien. In einem kleinen Dorf greift sie abermals die Polizei auf und steckt sie in Busse nach Belgrad. Bis zur ungarischen Grenze kommen sie im Zug. Orbáns Zaun, nutzlos in der Landschaft, überqueren sie zu Fuß.

In Budapest überlegt Amil mit anderen Flüchtlingen, wie sie am besten nach Österreich kommen. Sie erwägen, in einem Lastwagen mitzufahren. Wenig später gehen die Bilder von einem Transporter im Burgenland um die Welt, 70 Leichen wurden in ihm gefunden. Umdenken. Sie hausen da gerade in einem Park. Eines Abends streifen Fußballfans vorbei, es gab eine Niederlage, die Flüchtlinge werden jäh zur Zielscheibe. Die Situation eskaliert, einer der Randalierer geht mit einem Messer auf sie los. Die Polizei kommt, um den Tumult aufzulösen.

Amil und seine Leute setzt man in Busse, die nach Österreich fahren. Von dort nahtlos nach München und nach Berlin. Im sagenhaften Komfort der Deutschen Bahn. Amil hat jetzt ein Dokument in der Tasche, worauf genau steht, wo er sich in Berlin einfinden soll. Das Problem ist nur: Das steht da auf Deutsch, er kann es nicht lesen. Und die Polizeibeamten in der Hauptstadt sind entweder nachlässig oder überfordert, jedenfalls gibt niemand Amil eine Wegbeschreibung. Englisch kann er nicht, und so ist er zunächst einmal gestrandet in Berlin. Zwei Nächte lang schläft er im Fritz-Schloss-Park am Hauptbahnhof, bis das Suchen und Fragen ein Ende hat, er sich verständlich machen kann und ihm endlich mal jemand erklärt, wie er zu den Unterkünften in der Bitterfelder Straße kommt.

Das war im August. Seit Amil zu Hause aufgebrochen ist, sind sieben Monate vergangen. Etwa eine Stunde hat er gebraucht, um seinen Weg mit dem Finger auf der Karte noch einmal zurückzulegen, und bevor er sich verabschiedet, soll sein Zuhörer noch etwas wissen: dass er sich keine Vorstellung davon macht, was es bedeutet, eine Flucht zu erleben.

Protokoll: Jakob Hinze

Mehr zur Balkanroute schreibt sueddeutsche.de

1.3.

U3 Eritrea – Deutschland

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Mohammed

Zu Fuß durch Nordafrika. Mit deutschen Fluchthelfern von Rom nach Deutschland. Quelle: TONIC vom 26. Januar 2016

Seine Dorfgemeinde in Eritrea wählte Mohammed aus, dass er nach Europa fahren und dort für sie Geld verdienen solle. In Eritrea gibt es, sagt Mohammed, nur beim Militär die Möglichkeit Geld zu verdienen. Er schlägt sich überwiegend zu Fuß über den Sudan nach Libyen durch, gelegentlich ist er blinder Passagier oder fährt gegen Geld in Lkws und Pick-ups mit. Von Bengasi bringt ihn ein Fischkutter nach Italien. In Rom steigt Mohammed in den Passat der deutschen Fluchthelfer Gerd und Simone, die ihn über den Brenner nach München bringen.

1.4.

U4 Somalia – Wien

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Abdi

Drei Monate von Addis Abeba nach Tripolis. Freunde sterben. Italien grüßt mit Orientpop. Quelle: Emerge Ausgabe 01 2015 – Migration

Abdi stammt aus Somalia. Früh erlebt er tödliche Gewalt: Ein Clan erschießt seinen Vater, weil der sein Land nicht hergeben will. Als sich in Abdis Dorf islamistische Milizen und Regierungstruppen bekriegen, flieht er mit seiner Tante gen Süden. Nach drei Jahren Schule legt dort ein Mann seine Hand auf Abdis Schulter: Ob er in den Dschihad ziehen möchte? Schnell weg, erst in die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba, dann bringen Schlepper Abdi und seine Kumpels Muhamad und Yassin in Kleinwagen über Sudan und Tschad nach Libyen. Drei Monate dauert dieser Teil. Die Criminals, wie Abdi sie nennt, vergewaltigen die Frauen in der Gruppe; bald stirbt sein Freund Muhamad an Hitze und Herzproblemen. Libysche Soldaten stoppen die Schlepper und buchten die Flüchtlinge in Tripolis im Gefängnis ein. Ein libyscher Mullah holt Abdi raus, mithilfe seiner Landsmänner gelingt es ihm, eine Überfahrt vom Küstenort Zuwara nach Italien zu kaufen: 1.000 Dollar. Drei Wochen warten, Abdi zapft heimlich Wasser aus dem Klo und die Criminals verprügeln ihn. Eines Nachts geht es auf Gummibooten Richtung Caltagirone auf Sizilien. Ihr Captain erhält die Anweisung: „drei Stunden geradeaus, dann fünf Stunden bisschen links, dann wieder ungefähr siebeneinhalb Stunden in die andere Richtung“. Die italienische Küstenwache empfängt die Somalier mit Orientpop. Ankommen in Europa. Über Neapel fährt Abdi nach Wien, wo ihn die österreichische Bundespolizei in die Erstaufnahmeeinrichtung Traiskirchen überweist.

1.5.

U5 Afghanistan – Deutschland

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Safi

57 Tage Haft in Istanbul. Von dort nach Chios: 1.500 Dollar. Piräus nach Italien: 4.300 Euro. Quelle: Fürstenfeldbrucker Tagblatt vom 17. April 2014

Safi arbeitet als Dolmetscher für das amerikanische Militär, verdient gut. Doch die Taliban drohen ihm, sie wollen Informationen über ihren Feind, erst über Telefon, dann jagen sie Safi im Auto durch Kabul. Mit einem gefälschten Ausweis in der Tasche hebt der am Morgen des 27. Januar 2013 Richtung Istanbul ab. Dort nehmen ihn türkische Sicherheitskräfte fest und Safi sitzt 57 Tage in Haft – wo er seine Schleuser kennenlernt. Safi zahlt 1.500 Dollar für die Schlauchbootfahrt nach Griechenland, beim vierten Mal gelingt sie. Abermals wird er inhaftiert, diesmal in Piräus bei Athen. Er weiß nun: Er will nach Deutschland, Hamburg. Ein Kurde verlangt 4.300 Euro für den Weg nach Italien. Drei Tage verstecken Schleuser Safi in den Bergen, dann soll er sich unter der Rückbank eines Kleinwagens zusammenkrümmen. Die Fahrer nehmen die Fähre und befreien ihn erst nach 13 Stunden. Zwei Tage dauert die Zugfahrt nach Hamburg, über die deutsche Polizei sagt er: “Es war das erste Mal, dass mir jemand zugehört hat.” Die Beamten schicken Safi mit dem Zug nach München, in dessen Vorort Olching er heute wohnt.

1.6.

U6 Syrien – Deutschland

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Ghaith

Von griechischer Küstenwache auf Meer ausgesetzt. Italienischer Pass kostete 3.000 Euro. Quelle: Der Zaun, Carolina Schwarz/TONIC

Seit über einem Jahr wohnt der 23-jährige Ghaith nun schon in Berlin und muss hier noch einmal ganz von vorne anfangen. Nur wenige Wochen vor seinem Abitur wurde er in Damaskus, Syrien, gefangen genommen und saß für einen Monat im Gefängnis. Er hatte Demonstrationen organisiert gegen das herrschende Regime Assads – für ein friedliches Syrien. Nach seiner Flucht über das Mittelmeer kam er am 23. August 2014 am Berliner Hauptbahnhof an.

“Ich hatte keine andere Wahl als nach Europa zu kommen. Sobald in Syrien wieder Frieden ist, kehre ich zurück. Doch Deutschland bedeutet momentan Sicherheit für mich.”

Doch nach der Sicherheit folgt der Alltag: Deutsch lernen, Wohnung, Schule, Arbeit. Gerne hätte Ghaith alles auf einmal gemacht, doch die Bürokratie zwingt ihn zum Warten. Kostenlose Sprachkurse gab es zu der Zeit nicht, erst nach fünf Monaten erhält er seine Aufenthaltsgenehmigung und kann dadurch einen halbjährigen Deutschkurs besuchen. Heute verbringt er seinen Tag in einer Schule im Berliner Bezirk Mitte, um erst einmal seine Mittlere Reife zu erlangen. Nebenbei ist er auf der Suche nach einem Nebenjob für das Wochenende.

“Ich bin auf dem richtigen Weg. Jetzt fühle ich mich in Deutschland willkommen, weil ich Deutsch gelernt und mich in die Gesellschaft integriert habe.”

Anderen Geflüchteten möchte Ghaith helfen, um ihnen den Start in Deutschland zu erleichtern. Er engagiert sich ehrenamtlich als Übersetzer, hilft Neuankömmlingen im LaGeSo und begleitet Hilfesuchende zum Jobcenter, Bürgeramt oder zur Ausländerbehörde. Ghaith gefällt es in Berlin, eine gute Stadt für junge Leute. Doch er selbst hat noch nicht viele Bekanntschaften geschlossen. Seine Mitschüler reden schnell und umgangssprachlich, sind gelangweilt, wenn er häufiger Nachfragen stellt. Er freut sich auf seine ersten Herbstferien in Deutschland. Auf das Ausschlafen? „Nein, darauf mehr Zeit zu haben, um die deutsche Sprache zu lernen und mit mehr Deutschen in Kontakt zu kommen.“

Wird er nach seinen Zukunftsplänen gefragt, ist er unsicher. Alles ist soweit in die Ferne gerutscht. Er möchte gerne studieren. Wenige Wochen waren es, die ihn in Syrien von seinem Schulabschluss trennten, hier sind es noch drei Jahre.

Protokoll: Carolina Schwarz

1.7.

U7 Jordanien – Deutschland

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Khalid

An jeder Grenze Flucht vor Polizisten. Reisedauer 64 Tage. Quelle: TONIC Ausgabe 2, 2013. Autorin: Claudia Flach

Würden die Behörden Khalids* Herkunft, seinen richtigen Namen oder diese Geschichte kennen, müsste er wieder zurück. Jordanien jedenfalls ist die zweite Station seiner Flucht. Von dort fährt er mit dem Auto nach Syrien und fliegt weiter ins russische Sotschi. Schön war es dort, doch die Beamten verlangten bereits 200, 300 Dollar, damit er durchkommt. Über Moskau, die Ukraine und die Slowakei geht es weiter bis nach Wien, per Flugzeug, Auto und zu Fuß. Vor jeder Grenze wird Khalid auf der Autobahn rausgeschmissen und von Polizisten gejagt. Eine Auto bringt ihn weiter nach Deutschland, wo sein Asylverfahren bis heute läuft. Khalids Reise dauerte 64 Tage.

1.8.

U8 Afghanistan – Afghanistan

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Nabil

Weg von Taliban und Drogenhandel. Vor EU-Grenze Abschiebung nach Afghanistan. Quelle: TONIC vom 2. Mai 2012

Sein Onkel will ihn als Drogenkurier für die Taliban arbeiten lassen, Nabil selbst würde lieber in die Schule, etwas lernen. Der Sechzehnjährige stiehlt seinem Onkel Geld, fährt von Afghanistan über Usbekistan, Kasachstan und Russland in die Ukraine; bezahlt Menschen, die privat mit dem Auto unterwegs sind. Nabil schleicht tagelang durch die Wälder zwischen Ukraine und Slowakei, um über die Grenze in den Schengenraum zu kommen. Dort greifen ihn slowakische Polizisten auf und bringen ihn zurück in die Ukraine, ins Abschiebegefängnis Tschop – sein Recht, in der Slowakei einen Asylantrag zu stellen, verwehrten sie ihm. Die EU hat das Gefängnis kürzlich saniert, es schlafen jetzt 10, nicht mehr 50 Flüchtlinge in einem Raum. Auch der neue Sportplatz kam aus Brüssel, doch Nabil darf ihn nicht benutzen. Für Zigaretten, Papiere, Dolmetscher müssen die Flüchtlinge Gebühren zahlen, die es offiziell gar nicht gibt. Da er minderjährig sei, dürfe Nabil nicht in der Ukraine bleiben – und wird abgeschoben.

1.9.

U9 Ghana – Italien – Ghana

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Felix

Als blinder Passagier nach Europa. Wird von Schiffsbesatzung entdeckt. Quelle: TONIC Ausgabe 1, 2012

Felix will raus aus Ghana, um ein besseres Leben zu führen: “Was ich in Deutschland verdiene, macht mich hier zu einem reichen Mann.” Von seiner Küstenstadt fährt er auf die Île Boulay vor Abidjan, Elfenbeinküste. Dort bringen ihm gescheiterte Flüchtlinge bei, wie er als blinder Passagier auf einem Frachter in die USA oder nach Europa reisen kann.

So versteckt sich Felix zunächst auf einem Schiff Richtung Genua. Die Besatzung entdeckt ihn jedoch während der fünfeinhalb Tage dauernden Fahrt. In Rom wird Felix dem ghanaischen Botschafter vorgeführt. Ein Flugzeug bringt ihn zurück in die ghanaische Hauptstadt Accra.

Wieder fährt Felix zur Île Boulay. Wieder wird er entdeckt, diesmal schon im Hafen von Dakar, Senegal. Felix muss zurück nach Ghana.

Noch ein bisher letztes Mal versucht es Felix – und erwischt einen Frachter in die falsche Richtung, nach Südafrika. Wieder fliegt er zurück nach Ghana.

1.10.

U10 Syrien – Deutschland

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Mutaz

Überfahrt kostet 2.000 Euro, Boot kentert. Mare Nostrum rettet, hundert Menschen sterben. Quelle: Der Zaun im Dezember 2014

Mutaz ist 24, wohnt in Syrien. Assads Militär ruft ihn, doch Mutaz will weder töten noch selbst sterben. Er flieht nach Jordanien und erkundigt sich nach Wegen in Richtung Deutschland. Es scheint nur einen zu geben: Von Beirut im Libanon fliegt Mutaz nach Algerien, das von Syrern kein Visum verlangt. Über Tunesien geht es nach Libyen, wo Milizen die Flüchtlinge bedrohen – sie schießen schnell, wenn sie nicht bekommen, was sie wollen, Wertsachen und Pässe. Doch Mutaz hat auf dieser Reise auch einen Freund gefunden: Abdurahman stammt wie er aus Damaskus. In Zuwarah treffen die beiden ihren Schlepper Abu Hasan. Mutaz gibt ihm 2.000 Euro; ein Schlauchboot bringt sie zu einem Fischkutter, der einen Kilometer vor der Küste liegt. Doch dann setzt der Motor aus, die Schlepper schicken ein Schiff, das den Kutter weiter auf See schleppt. Die Besatzung eines Öltankers bemerkt die Flüchtlinge und kontaktiert die Marine. Helfer kommen, werfen Rettungswesten, und Flüchtlinge drängen auf eine Seite, um sie zu fangen. Das Boot wankt, Panik entsteht und es kentert. Über hundert Menschen sterben, auch Mutaz’ Freund Abdurahman, der mit ihm ins Wasser gesprungen ist.

Vom sizilianischen Augusta wird Mutaz zu einer Erstaufnahmerichtung in Mailand gemacht, doch er will weiter nach Deutschland. Die Italiener lassen ihn und er kommt ins Asylbewerberheim Drensteinfurt bei Münster. Er will Betriebswirtschaft und Logistik studieren.

1.11.

U11 Syrien – Deutschland

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Sadik und Edis

Übers Meer nach Kalabrien: vier Tage, 5.000 Dollar. Quelle: sueddeutsche.de vom 12. Dezember 2014

Sadik studiert Mechatronik in der syrischen Hafenstadt Latakia, als er zu Assads Militär soll. Sein Bruder ist da bereits desertiert und hat sich in die Türkei abgesetzt. Sadik folgt ihm nach, per Schiff, mit 5.000 Dollar und 600 Euro in der Tasche. Unter der Kleidung liegt ein Glas mit syrischem Honig. “Der hilft bei Hunger und Heimweh”, sagt Sadik. Die Dollars gehen bereits für einen Platz im Schlepperboot nach Italien drauf. Vier Tage sind Sadik und sein Bruder unterwegs, als die italienische Küstenwache sie rettet und nach Kalabrien bringt, von wo sie ein Bus ins Aufnahmelager Bari fährt. Polizisten schlagen sie, bis die Syrer ihre Fingerabdrücke abgeben. Die Brüder nehmen einen Zug nach Mailand – im Mezzanino, dem Zwischengeschoss des Hauptbahnhofs, halten sich viele Flüchtlinge auf, meist zwischen zwei und fünf Tage lang. Sadik und Edis wollen nach Deutschland, sie probieren es mit einem Auto über die Schweizer Grenze, werden aber erwischt. Zurück in Mailand kaufen sie ein Zugticket über Verona nach München. In Trient zieht die Polizei die Syrer aus dem Zug: “Wir verstehen Ihre Situation, aber wir machen nur unseren Job.” Eigentlich sollten sie nun zurückgeschickt werden, doch sie schaffen es in den nächsten Zug nach Innsbruck, und von dort im Bummelzug nach Deutschland, wo sie bei der Polizei Asyl beantragen. In die Erstaufnahmeeinrichtung Unna-Massen bei Dortmund erreicht Adik und Edis der Anruf ihrer Mutter: Die syrische Polizei habe ihren Vater und Bruder abgeholt. Sie wollten wissen, wo sie sind.

1.12.

U12 Eritrea – Deutschland

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Gebrael, Selam und Merahawit

Arbeit im Sudan, um 10.000 Dollar für die Flucht zu verdienen. Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 13. August 2015

90 Prozent der Flüchtlinge, die im Sommer 2015 Mailand passierten, stammten aus Eritrea. So auch der Englisch- und Mathelehrer Gebrael, 31, seine schwangere Frau Selam und deren Cousine Merahawit. Sie gingen erst ein Jahr nach Sudan, um 10.000 Dollar für ihre Flucht zu verdienen. In Libyen wurden sie inhaftiert und kauften sich frei. Ihr Flüchtlingsboot brauchte drei Tage nach Sizilien, wo sie Hilfe und Kleidung bekamen. Mit Bussen fahren Gebrael und Merahawit nach Turin, der Zug bringt sie nach Mailand. Sie nehmen den EC Richtung München. An der Haltestelle Rosenheim: Polizeibeamte sperren einen Sicherheitsbereich ab und nehmen Personalien und Fingerabdrücke auf, Gebrael fungiert als Übersetzer. Die 91 Flüchtlinge, die im Zug waren, erhalten blaue Bänder und nächtigen in der Bundeswehrkaserne. Gebrael, Selam und Merahawit werden nach München geschickt, sie nehmen den Fernbus nach Dortmund und fahren weiter nach Münster, wo Merahawits Bruder wohnt und sie in seine Arme schließt.

1.13.

U13 Niger – Libyen

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Kosy, Lawrence und Pius

30.000 Euro von Agadez nach Italien. Tagelang im Pick-up-Konvoi durch die Wüste. Quelle: taz vom 25 April 2015: “Und nun das Meer” von Mirco Keilberth

Kosy, Lawrence und Pius stammen aus Nigeria und haben sich für die Boga-Linie entschieden: 25 Toyota-Hilux-Pick-ups sollen sie innerhalb von drei bis sieben Tagen für jeweils 800 Euro von Agadez nach Tripolis bringen. Soldaten aus Niger begleiten den Konvoi und berechnen 150 Euro pro Fahrzeug. Agadez im Niger ist ein wichtiger Knotenpunkt für Flüchtlinge aus Westafrika – er ist von vielen Busbahnhöfen erreichbar, ob aus Nigeria, Ghana, Elfenbeinküste, Liberia oder Gambia. An der Gargaresh-Brücke von Tripolis bieten Hunderte Schwarzafrikaner ihre Arbeitskraft an, um Geld für die Bootsfahrt nach Italien zu verdienen. Oft dauert es Jahre, bis die Flüchtlinge genug beisammen haben. Die Jugendgangs der Stadt, sogenannte Asma-Boys, ziehen besonders Migranten ab und verlangen Schutzgeld. Kosy, Lawrence und Pius soll in wenigen Wochen ein Boot nach Europa bringen. Erst kürzlich ist eines untergegangen, nur 28 Menschen überlebten, viele Freunde der drei starben. Doch sie sehen keine andere Wahl, Lawrence sagt: “Ich verliere lieber mein Leben beim Versuch, ein besseres zu führen, als zufällig Opfer von Milizen zu werden.”

1.14.

U14 Syrien – Deutschland

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Nabil und Mariam

Deutsches Visum Dank der Vermittlung eines Couchsurfers. Quelle: fluter vom Sommer 2015

Tom und Nabil lernten sich 2011 in Homs kennen. Nabil studiert dort Medizin, Tom Politik und Ethnologie in Göttingen; jetzt surft er mangels einer Couch auf Nabils Teppich. Zwei Jahre später schreibt Nabil via Facebook: „Hey, Tom! Wie geht es dir? Ich hoffe, du bist zufrieden und alles in deinem Leben läuft gut. Ich muss dich um einen Gefallen bitten. Einen riesigen Gefallen.“ Nabil will weg aus Syrien, doch ein Visum für Deutschland bekommt er so einfach nicht. Darum braucht er ein Einladungsschreiben. Nach vielen Anrufen findet Tom ein Krankenhaus, das bereit ist, Nabil als Hospitanten aufzunehmen. Der beantragt daraufhin ein Visum in der deutschen Botschaft in Beirut, Libanon. Das Gespräch mit der Sachbearbeiterin läuft gut, Nabil erhält schließlich ein Visum für sechs Monate. Er reist zurück nach Homs, um seine Sachen zu holen. Doch am 16. Januar 2014 bricht der Kontakt ab, auf Facebook, per Mail, am Telefon: keine Antwort. Tom arbeitet weiter an seiner Bachelorarbeit, aber er bricht am Schreibtisch zusammen. Im Februar dann die Nachricht von Nabil: “Mir geht’s gut. Mein Körper ist nur ein bisschen schwach. Ich kann nichts tun. Außer heulen wie ein Baby.” Er war an der Grenze festgenommen worden, musste ins Gefängnis. Er ist gebrochen, wie seine Freundin Mariam, die auch einsitzen musste und nun mit ihm geht. Ein Bekannter aus dem Libanon fährt die beiden nach Beirut. Morgens hebt der Flieger ab, abends, am Frankfurter Flughafen, gehen die beiden durch eine Glastür, “Exit” – und finden Tom.

1.15.

U15/U16 Syrien – Griechenland/Schweden

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Amar und Asus

Verhaftung durch griechische Küstenwache, zurück nach Izmir. Von konkurrierender Schlepperbande entführt, für 3.000 Dollar von Alexandria nach Sizilien. Quelle: Zeit Magazin vom 17. Juli 2014

Amar stammt aus Homs, aus einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie. Er leistet Widerstand gegen Assad und flüchtet dann mit seiner Familie nach Kairo, handelt mit Möbeln. Doch mit der ägyptischen Revolution wandelt sich die Stimmung, TV-Moderatoren hetzen gegen Syrer, die Junta stellt ihn unter Visazwang. Die Familie entscheidet sich zur Flucht, Amar soll vor und die Familie später nachholen. Morgens verlässt Amar seine Engsten, mit einem Minibus geht es nun nach Alexandria. Er hält vor einem Hochhaus; die Schmuggler haben Wohnungen gemietet, in denen die Flüchtlinge warten sollen, bis die Umstände günstig sind.

Unter den Flüchtlingen ist auch Asus, der schon fünf Fluchtversuche hinter sich: Beim ersten Versuch floh er aus Syrien ins türkische Izmir, wo ihn ein Schlauchboot nach Griechenland bringen sollte. Dort verhaftet ihn die Küstenwache. Diese gescheiterte Flucht, deren vier Folgeversuche nicht erfolgreicher waren, ging als U16 in die TONIC-Karte ein. Nun also über Ägypten.

Am vierten Tag des Ausharrens holt ein Toyota die Wartenden ab, es soll Richtung Strand gehen. Plötzlich geraten sie in eine Verfolgungsjagd mit einem Kia; dieser schneidet dem Toyota schließlich den Weg ab – Männer ziehen den Fahrer aus den Wagen, ein anderer steigt ein. Die Flüchtlinge wurden entführt.

Sie sind nun Geiseln einer konkurrierenden Schleuserbande. Die Entführung ist ein Druckmittel, um “ein Problem zu klären”, sagt einer der Männer. Vier Tage vergehen, bis die eigenen Schlepper die Flüchtlinge von ihren Kidnappern für 3.600 Euro freikaufen. Wieder eine neue Wohnung.

Das Flüchtlingsboot soll 24 Meter lang sein und Platz für 300 Menschen haben, sagt Abu Hassan, Chef des Schmugglerrings. Die Flüchtenden rennen zum Meer, besteigen zwei Motorboote, die sie zum Mutterschiff bringen sollen. Tatsächlich halten sie an der Nelson’s Island vor Alexandria, angeblich würden die Menschen dort abgeholt. Ein neues Boot kommt, kann erst nicht alle aufnehmen und kehrt dann wieder um – gejagt von der ägyptischen Küstenwache. Das Verstecken nützt nichts, Amar wandert 16 Tage ins Gefängnis und wird in die Türkei abgeschoben. Asus, ein syrischer Maurer, der ab Kairo mitgereist ist, schafft es beim nächsten Versuch nach Sizilien und von dort weiter zu seiner Verlobten nach Schweden.

1.17.

U17 Eritrea – Lampedusa

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Jawaher

Eine Woche Warten auf Überfahrt nach Lampedusa: 300 bis 1.500 Euro. Quelle: Zeit Magazin Online vom 28. Januar 2015

Mit 14 flieht Jawaher mit ihrer Mutter aus Eritrea – die Wehrpflicht hätte sie erwartet. Erst ziehen sie in den Sudan, dann arbeiten sie in Saudi-Arabien als Hausangestellte. Jawahers Mutter entscheidet, nach Europa zu flüchten. Ein Onkel im Sudan organisiert den Schmuggel nach Libyen, Transporter fahren sie vor die Küste bei Zuwara. Eine Woche warten die beiden, dann ist das Boot so weit. Jawahers Mutter rennt durchs Wasser, besteigt das Boot; doch plötzlich fallen Schüsse. Jawaher versteckt sich in der Böschung. Ein Mann an der Überlandstraße nimmt sie schließlich mit, zu einem Checkpoint der libyschen Milizen, die sie vorerst einsperren. Die Ausländerbehörde im nahen Subrata zeigt Jawaher das Foto ihrer toten Mutter.

2.

Übers Projekt und Dankeschön

Konzept: Fabian Stark (redaktionelle Leitung), Dóra Ferenczy; Lou Huber-Eustachi, Chris Grodotzki und Ruben Neugebauer von jib-collective.net

Gestaltung: Dóra Ferenczy

Recherche der U-Bahnlinien: Imre Balzer, Jakob Hinze, Carolina Schwarz, Fabian Stark

Dank an: Olaf Bernau/Afrique-Europe-Interact, Caterina Lobenstein/Die Zeit, Dietmar Telser/der-zaun.net, Ann-Kathrin-Eckardt/Süddeutsche Zeitung

Abschiebungen fanden auf unserer Karte keinen Platz mehr, sie tun es in der Realität jedoch allzu oft. Zeit Online dokumentiert Abschiebeflüge aus Europa in diesem Stück.