Die Gedanken springen blitzschnell über Berge, während sie sonst im Tal wandern. Erinnerungen kommen in Clustern , ästhetische Wahrnehmung verwischt nach Erinnerungen aus der Gebärmutter, man hört , worüber seine Eltern im dritten Schwangerschaftsmonat geredet haben, Enge, Platzangst bis zum Horrortrip , auf ein mal ist man ein Baum, der Jahrtausende lang die Äste im Wind biegt, ein Atemzug, lang wie eine Epoche, ein Atom oder auch das ganze Universum.

„Wer LSD nimmt, muss bereit sein, seine Welt in Trümmern zu sehen.“ Klaus Johns Sätze klingen mitunter mystisch, ohne es tatsächlich zu sein – und seiner Meinung geht es nicht anders. John, Naturheilpraktiker und Redner auf dem Berliner Kongress Entheo Science, spricht von der „Unaussprechlichkeit der Erfahrung“, die LSD in ihm ausgelöst habe. Mit Märchen oder Poesie könne man einen Ausdruck für einen Trip suchen, doch nachvollziehbar für andere, die noch nie „Substanzen“ genommen haben, sei das Ergebnis nicht.

„Schlimmstenfalls gründen Menschen eine Religion“, sagt John, und die Zuhörer lachen. Das Problem sei, dass LSD keine bestimmten Wirkungen habe, sondern ein unspezifischer Katalysator unterbewusster Prozesse sei. Dadurch grabe man in der Seele, Löcher treten zutage, die man durch weitere psychotherapeutische Arbeit stopfen kann.

Moment, bin ich umgeben von Zauberpilz kauenden Esoterik-Knalltüten?

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Andernorts in der deutschen Hauptstadt raten Polizei und Gesundheitsbeauftragte gerade auf ihren Aktionstagen zur Drogen-Abstinenz, im gewohnten Tonfall des dunklen Fatalismus und unter dem Nicht-Motto „Na klar. Reden wir drüber.“ Hier im Botanischen Museum hingegen konferieren Wissenschaftler und solche, die es werden wollten, über „bewusstseinsverändernde Pflanzen und Substanzen im Kontext von Forschung, Heilung und Ritual“, teilweise mit nicht weniger öder Mystik, vorwiegend aber fundiert. Es herrscht keine Hippie-Mentalität – nein, Drogen verbessern nicht die Welt. Ein hedonistischer Party-Haufen ist das hier auch nicht, ebenso wenig unreflektierte Drogen-Propaganda. Konsens scheint eher zu sein, durch Wahrnehmungs-Änderung könne man für sich persönlich neue Erkenntnisse gewinnen – eine Reise durchs Bewusstsein. Name: Psychonautik.

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In der Lobby des Botanischen Museums, am Stand des Hamburger Ladens Zaubertrank, funkeln die Augen einer Kreuzung aus yogischem Indianer, wandelndem Turban und softem John Wayne. Sein Job ist Lächeln. Gegenüber reihen sich die Bücher des Schweizer Verlags Nachtschatten: „Maria Sabina – Botin der heiligen Pilze“, „Salvia Divinorum – Die Wahrsagesalbei“, „Die kosmische Oktave“, „Backen mit Hanf“. Eine silberhaarige Frau beginnt, tatsächlich mit dem Buch in ihrer Hand zu plaudern. Im Vortrag „Eintritt in heilende Bewusstseinszustände“ redet Claudia Möckel Graber von „tiefen Einsichten in das Leben“, vom Eins-Sein mit dem Kosmos, von Transzendenz und Erleuchtung; man könne sich selbst heilen mithilfe gewisser Substanzen.

Moment, bin ich umgeben von Zauberpilz kauenden Esoterik-Knalltüten? Nein, der Hörsaal ist bunt: Rechtsmediziner, Hobby-Schamanen und Vollzeit-Raver, Haschrebellen, Psychologen, Afrika- und Asien-Studenten, Kulturwissenschaftler, Therapeuten, Ethnobotaniker, Musiker, Naturheilpraktiker, Chemie-Professoren, Hippie-Omas, Grünenpolitiker, Nerds, Aussteiger, Rastas und Rucksacktouris, Hausmütter und sämtliche anderen Geschwister Peter Lustigs. Was geht hier vor?

Wenn Leute hier von Drogen reden, geht es um erweitertes Bewusstsein, nicht um Sucht und Betäubung. Stark abhängig machende Drogen wie Alkohol, Tabak, Heroin, Kokain oder Crack sind darum kaum Thema.

Wulf Weinreich räuspert sich nun im Hörsaal und redet. Der kuschlige Psychologe und Anthroploge mit den roten Bäckchen ordnet Substanzen verschiedenen Bewusstseinsformen zu und öffnet eine Grafik: Auf einer Achse nach rechts stehen das Manifeste, das Subtile und das Kausale, übersetzt etwa der Verstand, der Traum und der Tiefschlaf, nach oben entwickeln sich die Bewusstseinsebenen vom Archaischen über das Mythische und Rationale hin zum Integralen. Normalerweise halte sich der Mensch im linken, mittleren Spektrum auf, also im Manifest-Rationalen. Heroin hingegen befördere einen ins Archaisch-Subtile, ein Rückzug in den Mutterbauch – Nirvanas Album In Utero war keine Schnapsidee. Doch LSD, das eröffne fast alle Bereiche.

LSD scheint allgemein die Über-Droge zu sein auf diesem Kongress. Neben ihr stehen MDMA, Psilo-Pilze und die schamanischen Pflanzen Salvia Divinorum und Ayahuasca. Wenn Leute hier von Drogen reden, geht es um erweitertes Bewusstsein und was man damit anstellt. Die obigen Mittel können Psychosen auslösen, jedoch keine Sucht im Ausmaß von Alkohol, Tabak, Heroin, Kokain oder Crack. Solche Drogen, die entweder betäuben oder aufputschen, sind darum kaum Thema.

Slogans wie „Keine Macht den Drogen!“ sprechen Chemikalien zu allem Unnutz Macht zu

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Mittagspause. Der Indianer mit dem Turban lächelt immer noch, es gibt vegane Brühe und Absinth in diversen Kombinationen. Drinnen schwatzen die Redner recht nüchtern mit den Teilnehmern. Draußen stehen die Raucher, es riecht nach Tabak, auch ein wenig nach Gras, ein paar Schritte weiter im Botanischen Garten wachsen die Arzneipflanzen. Ob man die wohl pflücken und probieren sollte?

Schluss mit der Erholung. Von neuen, erlaubten Drogen erzählt der Apotheker und Politik-Berater Tibor Harrach: Findige Chemiker wandeln bekannte Drogen leicht ab, dadurch werden sie legal und heißen dann Research Chemicals. Befeuert durch den Internet-Vertrieb gibt es seit fünf Jahren beinahe wöchentlich neue Pülverchen und Kristalle, der Hinweis NICHT FÜR DEN VERZEHR BESTIMMT ist nur eine rechtliche Absicherung der Anbieter. Synthetische Cannabinoide wie Spice und Badesalze schossen auf den Markt, landeten bei Head-Shops und später bei naiven Verbrauchern. Das Problem sei nach Harrach, dass solche Stoffe die Kunden reizen aufgrund ihrer Legalität, dabei aber pharmakologisch kaum erforscht sind – zwei Menschen starben 2009 an einer als „2-CB-Fly“ etikettierten Substanz, in Wirklichkeit befand sich Bromo-Dragonfly in den Tütchen. Letzteres ist zehn Mal so stark.

Die Politik bekämpft indes Research Chemicals: In Großbritannien wurden gleich ganze Substanzgruppen verboten, ohne Erfolg, schon mit Eintritt des Gesetzes waren Cannabinoide zu kaufen, die gerade so nicht mehr ins Raster fielen – Deutschland plant dennoch Ähnliches. (Nachtrag vom 5. Mai 2016: Die Änderungen des Betäubungsmittelgesetzes seit 2012 skizziert hier die Bundesdrogenbeauftragte. Es wurden seitdem vor allem sogenannte neue psychoaktive Substanzen (NPS) verboten. Durch geplante Neuregelungen auf EU-Ebene will die Bundesregierung künftig effektiver als bislang auf NPS reagieren.) Was also soll Drogenpolitik heute?

Abstinenz spricht genau wie Abhängigkeit nur für die Unfähigkeit, mit einer Droge umgehen zu können.

Gundula Barsch

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Soziologie-Professorin Gundula Barsch startet Powerpoint und beantwortet dann eine andere Frage: Warum gelten viele Drogen als gefährlich? „Weil sie gefährlich sind!“, rufe die Gesellschaft, doch genau hierin liegt nach Barsch das Problem: Die Medizin arbeite nicht mit Gesunden, sondern mit Kranken. Wenn sie nun Drogen bewertet, habe sie dabei eine womöglich krankheitsfördernde Wirkung auf dem Schirm, nicht den Konsumenten, sein Umfeld oder gar Kultur. Erfahrungen gesunder Drogen-Nutzer würden darum ignoriert, das öffentlich gültige Motiv für den Konsum bleibe, nicht die Realität leben zu können und sich darum wegzuschießen. Slogans wie „Keine Macht den Drogen!“ sprechen Chemikalien zu allem Unnutz auch noch Macht zu, dunkles Halbwissen über Gefahren zerschlage die politische Diskussion. Abstinenz als die einzige Lösung der Politik spreche jedoch genau wie die Abhängigkeit nur für die Unfähigkeit, mit einer Droge umgehen zu können. Barsch will darum die Drogenmündigkeit: Sachliche Infos müssen es so weit bringen, dass man eigenständig und je nach Situation entscheiden kann, ob eine Pille im Schlund verschwinden soll oder nicht.

Ein Kongress geht zu Ende. Was bleibt: Alle Drogen sind Teil eines Rituals – Sekt an Silvester, Ecstasy im Berghain und Gras beim Sit-In. Rausch passiert nur in bestimmter Gesellschaft, an gekennzeichneten Orten, zu definierten Anlässen. Also ab zum Feierabend-Joint?

Muss nicht sein, denn wie sagte die eine Rednerin doch: „Nur in bestimmten Situationen Psychoaktiva zu nehmen ist so, als würde man mit einer Rakete nur auf der Straße fahren, wobei man mit ihr doch in den Himmel fliegen könnte.“

Nachtrag 5. Mai 2016: Entheo Science findet weiterhin zweijährlich statt, das nächste Mal von 3. bis 4. September 2016.