
Der Reiz des Erlaubten
Was früher Designerdroge war, heißt heute Research Chemical – Stoff also, der laut Sprechart der Forschung dient. Der Käufer fliegt so lange drauf, bis das Betäubungsmittelgesetz zuschlägt.
Vorlieben gibt es auch bei Rauschzuständen, aber die anderer akzeptiert man hier nicht.
“Tell us what EXACTLY you will do with the product,” fordert die Seite researchchemical.org beim Anmelden. Ich soll versichern, dass mir das Zeug nicht später in einer Körperöffnung verschwindet, und zwar möglichst knapp und glaubhaft. Die Anzeige weist mich an: Ich muss alles aufbrauchen oder vernichten, und es reicht nicht, die Bestellung auf den Mond zu schießen. “Ich dünge Erde mit verschiedenen Chemikalien um zu sehen, ob es sich auf das Verhalten der Regenwürmer auswirkt und das folgende Wachstum der Pflanzen, ” tippe ich schließlich. Eine Stunde später landet eine Nachricht in meinem Postfach: Fortan kann ich MDPV bestellen, dessen Effekte denen von Crystal Meth oder Ritalin ähneln, dazu eine Bandbreite von Psychedelika wie 2C-T-4 und das Ecstasy-ähnliche MBDB. Alles legal.

Kennst du die Clubdrogenreportage? Die gibt’s unter Konsum auch als Plakat – mit Drogenautomat und diesem Sticker.
Während Spice, 2008 als Kräutermischung verkauft, recht schnell unter das deutsche Betäubungsmittel-Gesetz fiel, wirbt die britische Seite Benzo-Fury-Me mit der kokain-ähnlichen Wirkung von Dimethocaine. Ein paar Zeilen tiefer warnt der Anbieter in großen roten Lettern: NICHT FÜR DEN VERZEHR GEEIGNET. Macht 13 Pfund das Gramm. Der deutsche Anbieter Chemcollect24 hat weniger “Designerchemikalien” zur Auswahl, verlangt für das Gramm MDPV aber nur 10 bis 20 Euro, plus Versand.
“Das Bedürfnis nach Rausch wohnt dem Menschen inne!” meint Danny, ein in der Research-Chemical-Szene aktiver Chemie-Student – “In der Veränderung seines Bewusstseins kann man auch viel über sich und seine Umgebung erfahren.” Nur sei es so: “Die einen fahren gerne den röhrenden Ferrari, die anderen den schicken Bentley, und sie respektieren einander.” Vorlieben gebe es auch bei Rauschzuständen, aber die anderer akzeptiere man hier eben nicht: “Unter Kiffern gilt die Strafverfolgung als schlimmste Nebenwirkung, während Heroin nach ihrer Meinung zu Recht verfolgt wird.”
Von der möglichen Gefahr zum Betäubungsmittelgesetz

Volker Auwärter arbeitet am Freiburger Institut für Rechtsmedizin, er bestellt Research Chemicals und analysiert die Inhaltsstoffe. Wie sie sich auf den Menschen auswirken, kann er jedoch nicht in jedem Fall vorhersehen: “In manchen Fällen bringt einen ein Selbstversuch weiter; aber die führen wir nur durch, wenn wir keine Anhaltspunkte dafür haben, dass eine Substanz gefährlich ist.” Die Wirksamkeit könne man manchmal auch über Ähnlichkeiten der Molekülstruktur abschätzen. “Tests über die Gefährlichkeit von Stoffen, etwa mittels verschiedener Zellmodelle, sind hingegen sehr aufwändig und teuer”, so Auwärter.
Es reicht nicht, wenn der Stoff eventuell gefährlich ist.
Auwärter und Kollegen füttern das Früh-Warnsystem der EU mit ihren Erkenntnissen. Jedes Land bewertet dann einzeln, ob eine Substanz ein Problem darstellt. Hier in Deutschland stellen sich zwei Fragen: Gibt es überhaupt Leute, die das nehmen? Und sind nach dem Konsum gesundheitliche Probleme aufgetreten? Erst dann gibt ein Expertengremium eine Empfehlung ab, ob ein Mittel ins Betäubungsmittelgesetz eingehen soll. Es reiche nicht, so Auwärter, wenn ein Pulver erhältlich und möglicherweise gefährlich ist.
Die Seite erowid.org widmet sich der Drogenaufklärung ohne Verteufelung – und warnt vor Research Chemicals: Sie seien weder am Menschen noch am Tier erforscht, es gebe “wenig bis gar keine Daten über mögliche Langzeitschäden, Suchtpotential, allergische Reaktionen oder Überdosen.” Überschwänglichen Erfahrungsberichten möge man nicht glauben, denn jeder Mensch empfindet anders, und die Verkäufer seien oft zwielichtig.
“Gefahren existieren immer, egal, ob der Konsument über Vorkenntnisse verfügt oder nicht!”, hält der Student Danny dagegen. “Die Gefahren von Research Chemicals sind die gleichen wie von illegalisierten Drogen.” Doch auf dem Markt tummeln sich Taschenspieler, etwa mit illegalen Substanzen in als legal verkauften Produkten. An einem falsch etikettierten Pulver ist selbst schon ein Händler gestorben, der sich nicht auskannte. Ein paar seiner Kunden nahm er mit ins Grab. “Die Leute gehen zum Teil äußerst sorglos mit ihrer Gesundheit um.”, bemerkt Danny. Etwa beim Thumb-Printing: “Die Leute haben oft nichts zur richtigen Dosierung da, also drücken sie ihren Daumen ins Pulver und lecken ihn ab.” Diese ungenaue Methode kann bei starken Substanzen zum Tod führen. “Ich weiß nicht, ob Laien legal mit harmlos gleichsetzen. Aber die Gefahr entspringt nicht der Verbindung selbst, sondern der mangelnden Aufklärung über Psychoaktiva.”
Wer nimmt das Zeug eigentlich?

Volker Auwärter liest die einschlägigen Foren und mutmaßt, dass die Research-Chemical-Szene aus einer überschaubaren Anzahl von experimentierfreudigen Drogenkonsumenten und versierten Chemikern besteht. Gefahren sieht er vor allem für Leute, die sich schlecht auskennen und daher bei der Dosierung Probleme haben: “Häufig bekommen wir auch etwas ganz anderes geschickt, als wir bestellt haben – das kann auch hochpotentes Gift sein. Ohne Labor kann man das nicht wissen.” Bei erfahreneren Konsumenten passiert hingegen recht wenig, denn die tasten sich von unten an die wirksame Dosis heran.
Bei falscher Dosierung gibt es nun mal unangenehme Folgen.
“Erst baden dann richtig Party feiern,” bewirbt ein Hong Konger Vertrieb sein Badesalz. Eine schwarzhaarige Schönheit mustert den Betrachter aus ihrer Wanne heraus, daneben warten auf einem Spiegel drei Lines auf die Nase ihrer Bestimmung. Die Botschaft: “Raus aus der Kriminalität und jetzt mit Freedom legal Parties feiern.” Das hat mit Research Chemicals wenig gemein – denn eine andere Palette ist es, die das breite Publikum beschwört: Badesalze, Räuchermischungen, die Nachfolger von Spice, zum Teil auch Ecstasy- und Amphetamin-ähnliche Drogen. “Wegen ihnen landen viele Leute im Krankenhaus. Bei falscher Dosierung gibt es nun mal unangenehme, manchmal auch lebensbedrohliche Folgen”, sagt Auwärter.
Für Danny ist ein Hinweis wichtig: “Research Chemicals sind letztlich bekannte Psychoaktiva, die sich bislang noch nicht etabliert haben.” Er erzählt die Geschichte der prominentesten Partydroge: Als Ecstasy noch weitgehend unbekannt war, erfreuten sich Anfang der 70er Hippies am artverwandten MDA. Der Controlled Substance Act, das amerikanische Betäubungsmittelgesetz, verbot die Substanz. Doch der Bedarf versiegte nicht, eine Lücke klaffte auf – und Ecstasy war legal. Nach ihm streckte die Justiz ihre harte Hand nicht aus. Die scheinbar neue Droge stopfte nicht nur das Loch, sondern lief MDA im Rave der 90er den Rang ab. Über die Risiken war damals nichts bekannt, doch das war den Leuten “offensichtlich egal”, meint Danny: “Die Legalität ist die größte Motivation.”