Am Hauptbahnhof Rom, der Stazione Termini, riecht es nach Müll und Großstadt. Die Carabinieri pfeifen und schreien den wilden Rollerfahrern hinterher. Mir tropft der Schweiß von der Stirn. In zehn Minuten ist es 20 Uhr. In zehn Minuten soll ich Gerd und Simone treffen. Die beiden sind Fluchthelfer. Sie fahren mit ihrem Auto nach Italien und zurück, um Flüchtlinge sicher nach Deutschland zu bringen. So zumindest lautet der Plan. Dieses Unterfangen gestaltet sich indes immer schwieriger, da seit dem letzten Sommer das europäische Versprechen der offenen Grenzen im Alpenraum offenbar nicht mehr oder nur noch eingeschränkt zu gelten scheint.

Jetzt ist es ist 20 Uhr. Die Sonne geht unter. Nach Einsetzen der Dämmerung bemerke ich immer mehr Afrikaner im Bahnhofsgebiet. Ob alle Flüchtlinge sind, weiß ich nicht.

Am vereinbarten Treffpunkt biegt ein VW Passat mit süddeutschem Kleinstadtkennzeichen in die Straße ein. Ich schaue mich um und grüße. Der Wagen kommt neben mir zum Stehen und das ältere Ehepaar in seinem Inneren bittet mich einzusteigen. Auf der Rückbank finde ich ein Pappschild mit der Aufschrift „München“ sowie einen Backpacker-Rucksack. Das sei die Rückversicherung für den Fahrer, meint Gerd. Im Falle einer Kontrolle würde er einfach behaupten, in dem afrikanischen Flüchtling einen europäischen Tramper vermutet zu haben. Trampen sei schließlich nicht illegal. Flüchtlinge schmuggeln hingegen schon.

Wir fahren los, passieren die eindrucksvolle Piazza della Repubblica, fahren die Via Nazionale herunter, in Richtung Trastevere, dem hippen Ausgehviertel der jungen Römer. Nachdem wir den Fiume Tevere überquert haben, biegt Gerd in eine ruhige Seitengasse ein. Wir halten vor einem runtergerockten Sandsteinhaus. Gerd wählt eine Nummer und spricht dann etwas auf Italienisch in sein Handy. Nach kurzer Zeit beobachte ich durch das Autofenster, wie ein Italiener in Begleitung eines offenbar verängstigten Schwarzen das Haus verlässt. Er steigt zu uns ins Auto, setzt sich neben mich. Er reicht mir seine Hand und stellt sich schüchtern als Mohammed vor. Es geht los.

Alle Bilder aus dem Kampagnenvideo von fluchthelfer.in
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1.

Pflicht der reichen Europäer

Wir quälen uns durch den wahnsinnigen römischen Stadtverkehr in Richtung Autobahn. Seit Mohammed mit an Bord ist, schlägt mein Puls bei jedem Polizisten, den ich sehe, höher. Endlich fädeln wir uns auf der Autobahn in Richtung Norden ein. Meine Aufregung legt sich ein bisschen. Gerd legt ruhigen Jazz auf, wir schweigen eine Weile.

Ich frage, warum sich Gerd und Simone dazu entschieden haben, diese menschliche, aber ebenso illegale Tat zu begehen. Im Prinzip agieren sie als Schleuser, bloß dass sie damit kein skrupelloses Geschäft betreiben, sondern uneigennützig handeln. Sie glauben, dass es als reiche Europäer ihre Pflicht ist, den Menschen, die am wenigsten haben und ihr Leben für die Flucht zu uns auf Spiel setzen, zu helfen. Sie hätten sich nach all den Medienberichten von den ertrunkenen und gepeinigten Flüchtlinge in den Medien nur noch geschämt, seelenruhig auf dem heimeligen Sofa zu sitzen und Weizenbier zu trinken. „Wenn du deinen Reichtum nicht mit den Armen teilst, werden sie ihre Armut mit dir teilen“, meint Gerd. „Was wir jetzt noch tun können, ist allerhöchstens Schadensbegrenzung.“

Ich spreche Mohammed an, der bisher schweigsam neben mir saß. Er stamme aus einem kleinen Ort aus Eritrea. Das Land gilt als Diktatur. Die Dorfgemeinschaft habe ihn, den starken jungen Mann, auserkoren, etwas von dem europäischen Reichtum in seine Kommune zu bringen. Das gesamte Dorf habe alle Ersparnisse für Mohammeds Flucht zusammengelegt. Mohammed soll in Europa Geld verdienen und dies in seine Heimat schicken, da er zu Hause de facto keine Möglichkeit hat, welches zu verdienen. Außer er ginge zum Militär. Doch unter keinen Umständen wollte er der Diktatur in seinem Heimatland dienen. Also entschied er sich für die Flucht. Der eritreischen Regierung gegenüber gilt er nun als Deserteur, was dort mit Folter vergolten würde.

Die Fluchtfinanzierung funktioniert im Prinzip wie ein Aktienkauf. Diejenigen, die ihm am meisten Geld für seine Reise gegeben haben, bekommen hinterher anteilig am meisten zurück, sollte er es wirklich schaffen, in Europa an Geld zu kommen.

Mohammed spricht Englisch mit starkem Akzent. Er berichtet von seiner Flucht. Er habe den gesamten Sudan und Libyen fast ausschließlich zu Fuß durchquert. Gelegentlich ist er als blinder Passagier oder gegen Bezahlung auf Lkw und Pickups mitgefahren. Er erzählt, dass er nicht alleine gewesen sei, sondern mit vielen weiteren Landsleuten und vor allem Somaliern unterwegs war. Er meint, dass sich gerade das gesamte subsaharische Afrika auf den Weg nach Europa mache.

fluchthelfer.in erklärt, wie man andere Menschen schleusen kann und vergibt Verdienstkreuze an Fluchthelfer.
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fluchthelfer.in erklärt, wie man andere Menschen schleusen kann und vergibt Verdienstkreuze an Fluchthelfer.

2.

Massengrab Sahara

Seit im Arabischen Frühling auch das libysche Regime gestürzt wurde, stehen die Chancen für Flüchtlinge besser, von dort aus nach Europa zu gelangen. Europa hatte mit Gaddafi einen Diktator in seinem Vorgarten, der für stabile Verhältnisse sorgte und keine Flüchtlinge nach Europa lies. Das ist jetzt vorbei.

Mohammed meint, das eigentliche Massengrab sei nicht das Mittelmeer, wo allein in im Jahr 2015 laut der maltesischen Hilfsorganisation MOAS rund 3.700 Menschen ums Leben kamen, sondern die Sahara, welche auf dem Weg an die libysche Küste durchquert werden muss. Viele würden hier verdursten, oder, wie Mohammed es mit einer unglaublichen Nüchternheit beschreibt, an den Folgen ihrer Entkräftung irgendwann einfach tot umfallen. Die Toten würden liegengelassen. Überhaupt kümmere sich auf der Flucht niemand wirklich um den anderen. Alle hätten nur ein Ziel vor Augen: Europa. Und in den meisten Fällen: Deutschland. Das reichste und damit attraktivste Land des Kontinents.

Das Mittelmeer habe er von Bengasi aus auf einem der vielen Fischkutter überquert, um direkt italienisches Festland anzusteuern. Er habe gehört, dass die Schleuser für die kürzere Route nach Lampedusa oft schlechtere Boote einsetzen, weshalb diese dann auch häufiger kenterten. Er hat die Überfahrt überlebt, ist irgendwo in Süditalien an Land gegangen und hat sich bis Rom durchgeschlagen.

Für Flüchtlinge, die von Italien mit dem Zug nach Deutschland reisen wollen, ist im alpinen Grenzgebiet oft Endstation. Für uns im Auto ist die Situation entspannter, jedoch kann es trotzdem jederzeit zu Kontrollen kommen.

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3.

Das also soll Deutschland sein?

Wir fahren an Florenz und Bologna vorbei, nähern uns allmählich dem Brenner. Um die Sicht in das Wageninnere zu behindern, kleben wir Sonnenschutzschirme von innen an die Fenster. Die Anspannung im Wagen wird deutlich größer. Mohammed, der schon so viel durchgemacht hat, beginnt zu zittern. Ich rede ihm gut zu, benutze ein paar arabische Phrasen. Das bringt ihn zum Schmunzeln, wahrscheinlich rede ich kompletten Unsinn.

Kurz vor der Mautstation am Brenner steigt noch einmal die Anspannung im Auto. Ich meine ein erhöhtes Polizeiaufkommen wahrzunehmen, aber weil ich noch nie vorher hier war, habe ich keinen Vergleich. Zum Glück verläuft der Grenzübertritt nach Österreich problemlos. Nach circa zwei Stunden haben wir die Alpenrepublik durchquert und erreichen Bayern. Als wir das Deutschland-Schild sehen, fällt bei allen Beteiligten die Anspannung ab. Mohammed hat Tränen in den Augen. Er kann nicht glauben, es geschafft zu haben. Das also soll Deutschland sein? Was wird ihn erwarten? Wie geht es jetzt mit ihm weiter?

Nach fast zehn Stunden Fahrt ohne Pause setzen Gerd und Simone Mohammed in München in der Nähe einer Polizeistation ab und sagen ihm, dass er sich dort melden soll. Die Beamten würden sich um ihn kümmern. Das Wort Polizei macht ihm Angst. In seinem Land sind Polizei und Staat Organe, die über Leichen wandern und nicht für, sondern gegen die Bevölkerung angehen. Gerd erklärt ihm, dass Deutschland ein Rechtsstaat sei, die Dinge hier anders liefen. Weshalb er doch auch hierhergekommen sei. Die Angst und der Zweifel stehen Mohammed ins Gesicht geschrieben. Doch er hat Vertrauen zu den beiden gemütlichen Deutschen gefasst. Er glaubt ihren Aussagen. Auch, weil er keine Alternative hat. Wir steigen aus, umarmen uns und gehen getrennte Wege.