Mit lockigem Wuschelkopf und sanfter Stimme erfüllt Oscar nicht gerade das Klischee eines Drogendealers. Ich treffe ihn in der Wohnung eines Freunds, der das Treffen für mich arrangiert hat. Zuvor hatte ich mehrere Monate vergeblich nach einem Dealer gesucht, der für ein anonymes Gespräch bereit ist. Die meisten sagten entweder sofort ab oder entschieden sich nach anfänglichem Interesse doch dagegen – zu groß die Angst, ein Interview könnte sie auffliegen lassen. Auch Oscar achtet bei unserer Unterhaltung genau darauf, keine verräterischen Details preiszugeben. Seinen echten Namen kenne ich bis heute nicht – ebenso wenig wie den Club, in dem er arbeitet.

Oscar, wie wird man eigentlich Clubdealer?

Mit dem Ticken habe ich eher aus Langeweile angefangen. Ich wollte vor allem irgendetwas zu tun haben. Damals war ich häufig in Clubs unterwegs, hatte aber noch keinen richtigen Anschluss gefunden. Wenn du im Club rumhängst, wirst du ohnehin schon oft angesprochen, ob du vielleicht irgendetwas dabei hast. Das hat sich dann irgendwann so ergeben.

Bist du der einzige Dealer in deinem Stammclub?

Nein, da gibt es noch so einen anderen Typen, aber der verkauft vor allem Koka. Und dann springt da noch so eine Püppi rum, die tickt Schnelles (Amphetamin bzw. „Speed“, Anm. d. Redaktion). Ich persönlich verkaufe vor allem Teile. Manchmal auch andere Sachen, aber nicht so gern. Da gibt es dann immer so viele Diskussionen. Im Idealfall würden wir uns alle gut absprechen und jeweils auf eine bestimmte Droge spezialisieren. Aber so ganz klappt das eben nicht.

Kennst du denn alle, die im Club verkaufen?

Nein. Es gibt immer so eine Grauzone von Leuten, die man einfach nicht mitbekommt. Die machen das heimlich und eher nebenbei, um sich ihre eigene Feierei zu finanzieren. So hat das bei mir ja auch angefangen. Es wurde dann aber schnell mehr.

Wie rentabel ist dein Job?

Im Einkauf muss ich für 100 Stück 240 Euro hinlegen. An einem Abend gehen dann so ungefähr 40 bis 60 Teile weg. Manchmal auch mehr, kommt immer darauf an. Damit mache ich dann etwa 400 Euro Umsatz.

Wissen die vom Club eigentlich Bescheid?

Der Betreiber weiß es. Der hat sich auch selbst schon ein Tütchen MDMA bei mir geholt. Es gab nie ein ausdrückliches Okay von ihm, eher ein stillschweigendes Einverständnis. Wichtig ist, das Ganze etwas verhalten anzugehen. Einer hat letztens Hausverbot gekriegt, weil er das Zeug zu aggressiv angeboten hat. Leute anquatschen ist der falsche Weg, das mache ich eigentlich nur in Ausnahmesituationen. Besser ist es, sich ansprechen zu lassen. Maximal frage ich so etwas wie „Suchst du irgendwas?“. Außerdem ermahne ich die Leute immer, in die Kabinen zu gehen und sich das Zeug nicht so öffentlich einzuschmeißen.

Dieses Interview gehört zu der TONIC-Clubdrogenreportage. Die gibt’s unter Konsum  auch als Plakat – mit Drogenautomat und diesem Sticker.
Salomon Hörler/TONIC

Dieses Interview gehört zu der TONIC-Clubdrogenreportage. Die gibt’s unter Konsum auch als Plakat – mit Drogenautomat und diesem Sticker.

Warum lassen die Clubs dir das eigentlich durchgehen?

Die profitieren auch davon, wenn es einen etablierte Hausticker gibt. Die Gäste müssen ja in Bewegung bleiben. Und sich Getränke an der Bar kaufen. Mit zu viel Drogen klappt es aber auch wieder nicht: Zum Winterende hin haben sich die Gäste bei uns viel mehr abgeschossen als sonst. Auch mit GHB und solchem Scheiß. Die liegen dann wie Leichen in den Klokabinen rum. Einmal hingen da sogar zwei Gäste halb komatös übereinander. Naja, es kommt auf das richtige Mischverhältnis an.

Gab es auch schon mal Ärger wegen der Dealerei?

Letztens kam einer vom Club auf mich zu, den ich selbst nicht so richtig kannte. Der meinte dann: „Junge, dein Name ist in letzter Zeit häufiger an die Tür geraten. Wir wollen dich nicht gleich rauswerfen. Aber pass auf, dass du das nicht zu offensiv machst, ansonsten müssen wir dir ein zeitweiliges Hausverbot geben“. Hätten sie mich gleich rausgeworfen, wäre das aber auch nicht gut für den Club. Denn ein neuer Hausticker muss sich ja auch erst einmal einarbeiten.

Nimmst du Teile auch privat?

Habe ich mal, aber in letzter Zeit eher weniger. Ich habe letztes Wochenende zum Beispiel nur ein halbes Teil genommen und ein bisschen Speed. Inzwischen nehme ich eigentlich lieber Ketamin. Keta ist mein Steckenpferd.

Wie ist die Qualität der Sachen, die du so verkaufst?

Ich teste eigentlich alles vorher an mir selbst, bevor ich eine große Menge einkaufe. Wenn das Zeug mal nicht so doll scheppert, verkaufe ich es trotzdem, das ist ja nichts Schädliches. Dann hat eben mal jemand einen sanfteren Rausch als sonst. Aber Müll verticke ich prinzipiell nicht.

Bietest du auch Kundenbetreuung an?

Nein, eigentlich nicht. Naja, wenn die Teile mal stärker sind als üblich, warne ich die Gäste und rate ihnen, erst einmal eine halbe Pille zu nehmen. Es ist aber auch erst ein, zwei Mal vorgekommen, dass jemand nicht darauf klargekommen ist. Und das liegt dann meist nicht an dem Zeug, sondern eher an der Person selbst.

Wie lang machst du das eigentlich schon?

Nicht so lang. Ich bin jetzt seit einem dreiviertel Jahr on tour. Praktisch jedes Wochenende, von Freitag bis Sonntag. Natürlich deale ich da nicht nur, sondern gehe auch einfach so ein bisschen weg. Auch in anderen Clubs.

Am Anfang hatte ich immer Angst, nach Hause zu gehen. Weil ich auf der Party nichts verpassen wollte. Aber jetzt merke ich langsam: Es ist immer das Gleiche. Man verpasst überhaupt nichts.

*

Was geschieht eigentlich mit dem ganzen Geld?

Naja, damit finanziere ich meine Spielsucht. Ich bin viel an Automaten unterwegs. Manchmal ist Montag dann schon wieder alles weg. Eigentlich könnte ich locker 1.200 Euro im Monat wegpacken, wenn ich nicht so viel zocken würde. Mein Negativbild ist so ein Typ, der in meinem Club rumhängt. Der ist 35, kokasüchtig und verkauft übelst den Dreck. Immer gerade so viel, dass er seine Sucht finanzieren kann. So will ich nicht enden. Langsam geht es halt auch auf die Gesundheit. Meine Nägel und Haare wachsen viel langsamer als früher. Nährstoffmangel vermutlich. Und ich habe das Gefühl, dass meine Leber angeschwollen ist. Aber ich will lieber jetzt gut leben als dann später im Altersheim zu versauern. Da gebe ich mir doch lieber die Kugel. Ich meine, ich habe jetzt viel Spaß am Wochenende, komme ordentlich rum, hatte mit zwei, drei echt geilen Püppis Sex im Club…

Was sind deine Pläne für die Zukunft?

Mein Traum ist, dass ich mich mal zusammenreiße und genug beiseitelege, dass ich schön verreisen kann. Nach Australien zum Beispiel. Dafür würde ich zu einem befreundeten Schuster gehen, der mir Speed in der Schuhsohle versteckt. Speed ist dort nämlich viel teurer als bei uns. Mit dem Geld kann ich mir dann lange Zeit ein schönes Leben machen. Nach einem Jahr ist Schluss mit dem Dealen, habe ich mir gesagt. Danach mache ich erst einmal eine lange Pause. Am Anfang hatte ich immer Angst, nach Hause zu gehen. Weil ich auf der Party nichts verpassen wollte. Aber jetzt, nach 35 Wochenenden, merke ich langsam: Es ist immer das Gleiche. Man verpasst überhaupt nichts.